TRAVELSTORIES – Stefan & Renate Loose unterwegs

gesammelte Briefe 2004–2024

Von den Molukken

Ihr Lieben,

die Inselwelt der Molukken: tropische Traumstrände, Korallenriffe, spanische, portugiesische und holländische Forts aus der Zeit des Gewürzhandels, Sultanspaläste, bunte Märkte und verstaubte Läden, in denen Muskatnüsse und Nelken aus Säcken verkauft werden – Touristenparadies ohne Touristen, denn diese sind durch die jahrelangen religiösen Unruhen, die tausende von Toten forderten, verschreckt worden. Also, auf zum Inselhüpfen abseits der internationalen Resorts und Restaurants, auf in die Welt von Ikan Bakar (gegrilltem Fisch) und Gesprächen in Bahasa Indonesia (Indonesisch).

Wir kommen zur Anlegestelle: „Sorry, heute fährt kein Boot. Aber ihr könnt ein Speedboot chartern.“ – „Nein, danke. Wir wissen, dass ein großes Boot kommen wird.“ – „Aber nicht heute, vielleicht morgen.“ – „Macht nichts, dann fahren wir halt morgen.“ Es ist einfach wunderbar Zeit zu haben, aber natürlich taucht nach einer halben Stunde die Fähre hinter den Felsen auf.

 

Ternate und Tidore

Die beiden Vulkaninseln der nördlichen Molukken sind unser erstes Ziel. Wir durchqueren Ternate und Tidore auf der Suche nach den Plätzen, wo wir vor 30 Jahren Fotos gemacht haben. Die alten Bilder werden interessiert herumgereicht, kommentiert und abfotografiert.

Mit unserem Eintrag im Gästebuch des Fremdenverkehrsamtes von Ternate verdoppeln wir die Anzahl der deutschen Besucher der letzten beiden Jahre. Allerdings gibt es hier auch gar nichts zu holen. Die sechs angestellten Frauen hinter ihren leeren Schreibtischen spielen mit dem Handy, schminken sich oder starren Löcher in die Luft. Von der einzigen Frau, die etwa Englisch spricht und deshalb vorgeschickt wird, erhalten wir nach zehn Minuten einen bunten, nichtssagenden Prospekt und die Adresse der Airline, bei der wir den Flug nach Ambon buchen wollen. Als wir feststellen, dass das Büro dort nicht mehr existiert, ist gleich jemand zur Stelle, der uns mit seinem Auto kostenlos zum richtigen Ort fährt.

Unser einfaches Hotelzimmer verfügt nur über sonnengewärmtes Warmwasser und eine laut klappernde Klimaanlage, die zu den Gebetszeiten für zwanzig Minuten vom Gesang des Muezzins von der nahen neuen Moschee übertönt wird. Eines Morgens wird nebenan für ein Fest die Straße auf ihrer gesamten Breite mit Zeltplanen überspannt. Darunter werden mindestens zweihundert Plastikstühle in Reih und Glied aufgestellt. Abends müssen wir wie auf einem Laufsteg durch die Feiernden hindurch zum Hotel zurücklaufen, vorbei am langen Buffet, das auf dem Mittelstreifen aufgebaut ist. An beiden Enden wird der Festplatz von einer zwei Meter hohen Mauer aus Lautsprecherboxen begrenzt, die bei voller Leistung bis 2.30 Uhr morgens das gesamte Viertel bestens unterhalten.

Überall werden wir freundlich begrüßt. In kürzester Zeit scheinen uns bereits viele im Ort zu kennen. Anscheinend sind wir derzeit die einzigen Touristen auf der Insel. Nachdem wir einmal mit einem Minibus gefahren sind, hält der Fahrer jedesmal, wenn er uns durch die Straßen laufen sieht, an und grüßt uns. Schließlich wird er zu unserem persönlichen Fahrer, der jedes Mal viel zu früh vor dem Hotel auf uns wartet, um uns zu den Anlegestellen zu bringen, von denen aus wir mit dem Boot auf die benachbarten Inseln Tidore und Halmahera fahren.

 

Halmahera

Fast pünktlich, kurz nach acht Uhr, fährt das Passagierschiff nach Halmahera ab. Wir sichern uns einen Platz im hinteren Bereich bei den Frauen mit Kleinkindern und wenigen Schwimmwesten hinter festgenageltem Maschendraht. Fast zwei Stunden dauert die Überfahrt nach Jailolo, Zeit genug für neugierige Fragen. Eine Frau reicht uns ihr Handy. Sie hat ihre Schwester angerufen, die etwas Englisch kann und mit uns sprechen möchte.

Neben dem Schiff tauchen ab und an fliegende Fische auf, die einige Sekunden elegant über die Wasseroberfläche segeln, um dann mit einem bombastischen Bauchklatscher wieder zu verschwinden. Die Kokosnüsse, die auf den Tropenmeeren triften, haben Gesellschaft bekommen in Form von Plastikbechern, -flaschen und -tüten, einzelnen Flip-Flops, Styroporverpackung und allerlei anderem Zivilisationsmüll, der nicht gleich auf den Meeresboden sinkt.

Wir mieten in Jailolo zwei Ojek (Motorradtaxis), um durch die Dörfer nach Norden zu fahren. Ronny, einer der Fahrer, hält im seinem Dorf am Rumah Adat, dem traditionellen Versammlungshaus, das neben der Kirche immer noch von Bedeutung ist. Die Kirche im Nachbardorf ist während der Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen im Jahr 2000 abgebrannt worden. Im Rumah Adat sitzen junge Männer, einer von ihnen ist Moslem. Über den Kirchenbrand möchte keiner sprechen – ist es zu peinlich?

An einem schwarzen Sandstrand unter Kokospalmen mahlt eine Frau Sago zu Brei. Ein Auslegerboot wird zu Wasser gelassen. Bald schon sind wir von Frauen umringt. Eine 46-Jährige kaut Betel – das machen hier nur noch die Alten. Und die junge Frau, worauf kaut sie herum? Auf junger Mango, sie ist im sechsten Monat schwanger, und junge Mango hilft gegen Übelkeit, was ich aus eigener Erfahrung weiß. Vor 30 Jahren, als wir von einem ähnlichen Dorf zu einem 38 km Dschungelmarsch ins Landesinnere zu den nomadisierenden Togutil aufbrachen, war auch ich im dritten Monat schwanger. Die Togutil sind mittlerweile fast alle sesshaft geworden, und im Dschungel wird Gold und Nickel geschürft und die Umwelt rücksichtslos ausgebeutet.

Auf der Rückfahrt steigt ein Strenggläubiger mit wallendem Gewand und langem Bart mit seinem Helfer zu. Keiner wechselt einen Blick oder ein Wort mit ihm. Die Stimmung ist spürbar kühler geworden. Als wir ankommen steht Militär an der Anlegestelle und kontrolliert jedes Gepäckstück.

 

Ambon

Eine Weile haben wir gezögert, ob wir Ambon in den Zentral-Molukken besuchen sollen, denn am 11. September kam es hier erneut zu Unruhen, bei denen 7 Menschen ihr Leben lassen mussten. Bereits bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt spricht uns unser Taxifahrer Yohannes darauf an.

Im moslemischen Viertel betreibt Wizar, ein alter Seemann und Sammler, einen Antiquitätenladen. Er und sein Freund Haji Alif, erzählen uns ihre Version der jüngsten Ereignisse. Nach den Jahren des Bürgerkriegs 1999–04 zwischen Moslems und Christen und den folgenden Jahren der Trennung möchten eigentlich alle nur in Ruhe und Frieden zusammen leben. Viele vermuten jedoch, dass der Konflikt aus persönlichen Interessen von Politikern aus Jakarta geschürt wird.

Das beste Hotel der Stadt ist gerade Austragungsort des „World Youth Forum on Peace and Harmony“ und wird bewacht wie eine Festung. Die eingetroffenen VIPs, darunter der ehemalige indonesische Vizepräsident Kalla, sind umgeben von Bodyguards und dienstbaren Geistern, die sie mit Argusaugen bewachen und ihnen jeglichen Weg ebnen. Feudalismus in Reinkultur!

Mehr als 650 m oberhalb von Ambon liegt Soya Atas, der alte Königssitz. Als wir beim Frühstück Markus, dem Front Manager des Hotels, gegenüber erwähnen, dass wir nach Soya wollen, bietet er sich an uns hinzufahren – bzw. er organisiert das Hotelauto für einen gemeinsamen Ausflug. In Soya laden wir noch seinen Cousin ein, und an der kleinen Kirche schließt sich Anton unserer Gruppe an. Auf dem Weg hinauf zur heiligen Urne (Tempayang Keramat) hören wir ihre Version vom Massaker am 28.4.2002. Damals ist auch diese wunderschöne alte Kirche abgebrannt worden und alle Häuser, die weiter oberhalb standen. Um 2 Uhr in der Nacht sind stark bewaffnete, militärisch organisierte Einheiten gekommen, haben die Häuser von Christen in Brand gesteckt und 12 Menschen erschossen, darunter schwangere Frauen und Kinder. Einige glauben, es seinen Militärs gewesen, andere meinen es waren Mitglieder von Laskar Jihad. Seither sind aus dem Dorf alle Muslime hinab nach Ambon ins bereits übervölkerte Moslemviertel Batu Merah gezogen. Als wir zum Auto zurückkehren begrüßt uns der „König“ von Soja, dessen Mutter aus Deutschland stammt.

Wir haben auch ein altes Foto dabei von Frauen in der christlichen Ambon-Tracht, das wir hier aufgenommen haben. Anton kennt die Frauen, sie stammen aus Ema, dem Dorf unterhalb von Soya. Sie leben noch, und alle beschließen, dass wir morgen, am Sonntag, unbedingt nach Ema müssen, um den Frauen persönlich das Bild zu geben.

Am Sonntag besuchen wir den fast zweistündigen Gottesdienst in der katholischen Kathedrale. Wir sind fasziniert von der tiefen Inbrunst der Gesänge und Gebete aber auch etwas geschockt von der stark bewaffneten Polizei, die alle Gottesdienste aufmerksam bewacht (schließlich gab es erst vor drei Wochen einen Anschlag auf eine Kirche in Solo auf Java). Anschließend schauen wir noch in einer protestantischen Kirche vorbei, wo zuerst unser Daypack einige mißtrauische Blicke erntet, wir aber dann ohne weitere Fragen zum Abendmahl eingeladen werden.

Bei unserem Rundgang durch die Stadt kommen wir auch am Salon RW vorbei. Die Abkürzung RW steht für Hund, der in diesem Salon allerdings nicht verschönert sondern gegessen wird.

 

Saparua

Auf der ersten Seite der lokalen Zeitung weht die deutsche Flagge - ach ja, es ist der 3. Oktober, Nationalfeiertag. Wir sitzen wieder einmal auf einem Boot. Diesesmal geht es auf die abgelegenen Lease-Inseln nach Saparua. Drei Tage verbringen wir in einem abgeschiedenen, kleinen Resort in Mahu. Die absolute Ruhe wird nur unterbrochen, wenn jemand im angrenzenden Dorf seine Anlage bis zum Anschlag aufdreht und die an Hawaii erinnernde Molukken-Musik bis zu uns herüberschallt, wenn morgens die Frauen zur Bootsanlegestelle kommen, um mit lautem Hallo ihre vom Fischfang zurückkehrenden Männer begrüßen, wenn die nachmittäglichen Regenschauer auf unser Wellblechdach hämmern und wenn eine Kokosnuss vom Baum fällt.Wir fahren mit dem Minibus bis ans Ende der Straße und wandern durch die Dörfer. Die Sehenswürdigkeiten der Insel sind schnell erkundet: Das holländische Fort, der Strand, der Markt. Der Verkehrspolizist Onifaris mit dem glitzernden Colt hat uns wieder entdeckt: „Hallo Stefan!“, der junge Vater mit dem eineinhalbjährigen Sohn Rex von der Mole: „Hallo Opa, hallo Oma!“, der Fahrer des Minibusses: „Kommt, steigt ein, ich fahre gleich nach Mahu.“ Im Resort sind wir die einzigen Gäste. Jeden Abend kommt zur Essenszeit der Organist der Kirche vorbei. Er spielt auf dem Harmonium und Paul, der 64-jährige Besitzer des Resorts, singt dazu die ewigen Hits der 50-er Jahre.

Das Highlight jeden Tages sind allerdings die Sonnenuntergänge, wenn die Fischer ihre Kore-Kore (Auslegerboote) zu Wasser lassen und aus den Mangroven über das spiegelglatte Meer hinaus zu den Bagan (verankerten Plattformen mit Fischernetzen) in der weiten Bucht paddeln während sich Himmel und Meer in einem aufregenden Farbenspiel vereinen.

Zurück in Ambon, im lärmenden Verkehrschaos, im Gewühl und Gestank der Märkte ziehen wir uns aufs Zimmer zurück, um die Ruhe noch ein wenig nachklingen zu lassen und euch davon zu berichten. Morgen werden wir nun endlich zu den Frauen nach Ema fahren, und dann geht es weiter nach Bali.

Bis zu unserer nächsten Rundmail aus einer ganz anderen Gegend verabschieden sich mit allerbesten Wünschen an alle

Renate und Stefan Loose

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Der Mann mit dem glitzernden Colt (links)