(Ein Beitrag von Tilo Nadler)Mehr als 50 Jahre waren vergangen, als 1987 der Delacour-Langur im Nationalpark Cuc Phuong wiederentdeckt wurde. Er zählt heute zu den 25 weltweit seltensten und höchstbedrohten Primaten. Sehr zahlreich waren diese Languren wohl auch nicht, als der französische Zoologe Jean Delacour sie während einer Expedition 1930 zum ersten Mal sah – wenn auch nicht lebend: Er erwarb sie in der weiteren Umgebung des Nationalparks von einheimischen Jägern. Die spektakuläre Wiederentdeckung dieser ungewöhnlich gezeichneten Affen, schwarz mit rein weißer Hose und langem buschigem Schwanz, war der Anlass für den Start eines Projekts der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt. Ein verbesserter Schutz des damals einzigen bekannten Bestands und Kenntnisse über Lebensweise und Anzahl der noch existierenden Tiere waren die Ziele. Nach eingehender Sondierung der Verhältnisse begannen 1993 für mich, den Dresdner Tilo Nadler, als Projektleiter die Herausforderungen: bewaffnete Jäger und Holzfäller zu stellen, die Ranger des Nationalparks zu schulen und sie für die oft gefährlichen Einsätze zu motivieren, gewilderte Tiere zu konfiszieren – und das bei allgegenwärtiger Korruption, Gleichgültigkeit und Unverständnis.
Doch das Projekt begann gleich mit einem Höhepunkt, der den weiteren Verlauf entscheidend beeinflussen sollte: Zwei lebende Delacour-Languren wurden beschlagnahmt. Der Gesundheitszustand der Tiere und die intensive Jagd innerhalb des Nationalparks sprachen gegen eine unmittelbare Freilassung der seltenen Tiere; es waren die ersten, die bekanntermaßen in Gefangenschaft gerieten. Mit zunehmender Routine in der Arbeit nahm auch die Zahl beschlagnahmter Primaten rasch zu. Mit Unterstützung von mehreren Naturschutzorganisationen wurde nicht nur eine finanzielle Basis für die Haltung der Tiere geschaffen, sondern auch das Endangered Primate Rescue Center gegründet, die erste Auffangstation für konfiszierte Tiere in ganz Indochina.
Die Arbeit der AuffangstationDas EPRC hat inzwischen die dringende Notwendigkeit seiner Existenz unter Beweis gestellt. Der Bestand ist auf 150 Tiere angewachsen, die Anzahl der Arten auf 15, von denen sechs ausschließlich hier gehalten werden. Die Tiere sind in mehr als 40 großen Käfigen untergebracht, einige Gruppen auf den beiden mit Primärwald bestockten Freianlagen, die mit Elektrozäunen gesichert sind. Diese Freianlagen mit einer Fläche von 2 bzw. 5 ha sind sozusagen die Trainingseinrichtungen für geplante Auswilderungen.
Die Arbeit des Centers konzentriert sich auf die seltensten und höchstbedrohten Arten. Diese Beschränkung ist leider notwendig, wenn auch sehr bedauerlich für die (bislang noch) häufigeren Primatenarten. Die Wilderei hat erschreckende Ausmaße angenommen und die Zahl der dann zu beschlagnahmenden Tiere würde alle finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten sprengen. Die Forstschutzbehörden des Landes stehen der Wilderei und dem illegalen Tierhandel nahezu hilflos gegenüber. Sie nehmen diese Vergehen deshalb meist mit Gleichgültigkeit und Ignoranz – auch Ignoranz der bestehenden Gesetze – hin. Großabnehmer der Wildtiere ist China, wo diese als Rohstoff zur Produktion sogenannter traditioneller Medizin wie auch für die Zubereitung luxuriöser Menüs verwendet werden.
Die offizielle Schätzung der Masse an Wildtieren, die jährlich illegal gejagt und gesammelt werden, liegt zwischen 3000 und 4000 Tonnen! Nahezu unvorstellbar, aber trotzdem nicht übertrieben. Einen derartigen Druck kann keine der Tierpopulationen ausgleichen, und so ist ihr baldiges Verschwinden bereits absehbar. Besonders tragisch ist das für endemische Arten, d. h. Arten, die ausschließlich in Vietnam vorkommen. Dazu zählen auch mehrere Primatenarten. Mit 22 Arten beherbergt Vietnam unter den südostasiatischen Ländern die höchste Zahl an Primaten. Fünf Arten kommen nur in Vietnam vor, und diese werden zu den 25 am stärksten bedrohten Primaten der Welt gezählt – d. h. 20 % der seltensten Primaten gehören zur Fauna Vietnams. Einige dieser Populationen bestehen aus weniger als hundert Tieren, keine umfasst mehr als tausend.
Eine neue AffengenerationDas Endangered Primate Rescue Center hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit den beschlagnahmten Tieren unter menschlicher Obhut kleine Populationen zu gründen, um die Nachkommen einmal in geschützte und gesicherte Wildgebiete zu entlassen, Restpopulationen in freier Wildbahn aufzustocken oder Tiere dort wieder anzusiedeln, wo sie ehemals vorkamen. Neben den tierpflegerischen Herausforderungen der Haltung dieser meist überaus sensiblen, blätterfressenden Affen bedürfen der Schutz und die Sicherung der natürlichen Lebensräume auch weiterhin großen organisatorischen und finanziellen Aufwands. Mit einem Auswilderungsprogramm für Hatinhlanguren im Phong Nha-Ke Bang-Nationalpark in Zentralvietnam startete das EPRC das erste Modell für die Auswilderung von Languren.
Alle diese Aktivitäten sind nicht ohne enge Kooperation mit den Forstschutzbehörden, anderen Instituten und Wissenschaftlern im In- und Ausland zu realisieren. Kenntnisse über Biologie, Verbreitung, Status, Bedrohung der Arten sind eine Voraussetzung für erfolgreiche Arbeit. Durch dieses Engagement hat sich das EPRC nicht nur den Ruf erfolgreicher Tierhaltung höchst seltener und sensibler Arten erworben, sondern sich auch zu einem Zentrum der Primatenforschung des Landes entwickelt.
Weitere Infos unter https://www.eprc.asia