Ihr Lieben,
seit zwei Wochen durchstreifen wir die indonesische Inselwelt, die uns mit dem Geschmack von Kokosmilch und Erdnüssen, dem Duft von Nelkenzigaretten und den „Hello Mister“ rufenden Kindern erneut in ihren Bann schlägt.
Nun sind wir an der Nordspitze von Sulawesi angekommen, dieser eigenförmigen Insel, deren Arme sich wie eine Orchidee weit ins Meer hinaus erstrecken. Wir sitzen genau hier, wo der pazifische und indische Ozean aufeinandertreffen an einem tropischen Bilderbuchstrand: Draußen rauscht das Meer, ein Auslegerboot paddelt über das ruhige Wasser, in der Ferne erhebt sich ein mächtiger Vulkan und vor mir liegen Muscheln von der Größe eines Waschbeckens.
Wir sind nahezu allein in der kleinen, von Felsen und einem Palmenwald umrahmten Bucht mit weit ausladenden, alten Bäumen, einem kleinen Sandstrand und vorgelagerten Korallenriff. Das nächste Dorf, wo die Straße endet, liegt jenseits der Felsen, einen Kilometer entfernt.
Die anderen Gäste des kleinen Pulisan Resorts, das von der deutschen Anthropologin Katrin gegründet wurde, sind hinausgefahren, um an einem Steilabfall, der zu den schönsten Riffs der Welt gehört, zu tauchen oder machen eine Tour durch das wunderschöne, von Vulkanen geprägte Hinterland. Auch wir waren dort bereits unterwegs und wissen, was sie erwartet:
Bevor die Wolken aufziehen (und das geht rasch) werden sie hinauf auf den Gunung Mahawu steigen, von dem aus sich ein toller Ausblick auf die Stadt Tomohon bietet. Die weitläufige, von Minahasa bewohnte Stadt liegt in einem Tal umrahmt von Bambushainen, Bergwäldern mit Baumfarnen, fruchtbaren Gärten mit Obst-, Nelken- und Zimtbäumen sowie großen, ertragreichen Gemüsefeldern an den Hängen der aktiven Vulkane Gunung Saputan und Gunung Lokon. Neuerdings werden hier sogar Erdbeeren geerntet. Die Vororte schmücken hübsche Holzhäuser in gepflegten Gärten. Im Zentrum liegt der sehenswerte Markt mit einem großen Angebot an Obst und Gemüse. Die eigentliche Attraktion des Marktes ist allerdings die Fleischabteilung mit ihrem exotischen Angebot an frisch geschlachteten Hunden, zerteilten Fledermäusen und sogar Python-Fleisch, das Kilo für 1,70 Euro.
In Manado, der nächsten großen Stadt an der Küste, ist in den letzten Jahren auf aufgeschüttetem Land vor dem alten Zentrum eine über 4 km lange Shoppingmeile mit gigantischen Mega- und Hyper-Einkaufszentren entstanden, die kaum zu toppen sind. Fast an jeder Ecke steht eine Kirche. Auf der 20 km langen Strecke vom Airport in die Stadt zählen wir 27 Kirchen und 3 Moscheen – welch ein Kontrast zum Süden von Sulawesi.
Dort, im Land der Makassaris und Bugis, ist die Mehrheit der Bevölkerung muslimisch und Moscheen prägen das Stadtbild. Von Makassar starten wir ins Landesinnere nach Tana Toraja – einer christlich-animistischen Gegend – und brauchen für die etwa 320 km lange Strecke fast 9 Stunden. Die nördlichen Toraja, die im zerklüfteten Hochland rings um den kleinen Ort Rantepao siedeln, faszinieren nicht nur Anthropologen. Ich treffe Berta, eine hübsche, junge Batak. Sie spricht hervorragendes Englisch und ist gerade aus Bali angereist, wo sie als Radiosprecherin und Indonesischlehrerin arbeitet, um an einer Begräbniszeremonie für einen Onkel teilzunehmen. Der Onkel ist schon vor längerer Zeit gestorben, aber es dauert, bis alle Vorbereitungen für die aufwendige Zeremonie getroffen worden sind.
Schon seit Juni baut man Häuser für eine andere Begräbniszeremonie, die Ende Dezember stattfinden wird. Allein die Enkel haben bereits angekündigt mit insgesamt 70 Wasserbüffeln zu erscheinen, die pro Stück vier- bis vierzigtausend Euro kosten und aus diesem Anlass auf dem zentralen Festplatz vor den Augen aller geschlachtet werden. Tausende von Gästen werden erwartet, von denen jeder etwas vom Fleisch abbekommt – und je nach Status ist genau geregelt wer den Kopf oder die Füße essen darf. Auch die Dauer und der Ablauf der Zeremonie sind genau vorgegeben.
Wir fahren hinauf nach Batutumonga, wo gerade eine fünftägige Begräbniszeremonie beginnt. Die Großeltern sind bereits vor 2 Jahren gestorben, nun ist ihnen ein Enkel gefolgt, und es wird an der Zeit eine neue Höhle in einen Felsen zu schlagen, wo alle drei beigesetzt werden sollen. Die Feierlichkeiten beginnen mit Büffelkämpfen, bei denen kräftig gewettet wird. Der weitläufige, teils unter Wasser stehende Platz ist nicht abgesperrt, sodass es machmal große Aufregung gibt, wenn ein flüchtender Büffel in die Zuschauer rast, die schreiend die Flucht ergreifen.
Neben mir hat sich eine Familie in Anlehnung an die als Souvenirs beliebten T-Shirts mit dem großen, roten Herz und dem Spruch „I (Herz) New York“ schwarze T-Shirts fertigen lassen mit dem Spruch „We (Herz) Oma Ande & Opa Indo“ und Oma wie Urenkel darin eingekleidet.
Fast eine Woche lang wandern wir durch die Dörfer und gehen auf Spurensuche. Fast genau vor 30 Jahren waren wir beide schon einmal hier unterwegs, um für unser Südostasien Handbuch zu recherchieren. Wir haben einige alte Fotos dabei und suchen dieselben Orte auf. In einem Minibus, der mit 11 Erwachsenen und 2 Kindern gut gefüllt ist, fahren wir nach Tobaran, dem Zentrum der Toraja-Weber. Einer alten Frau zeige ich ein Foto von einer Weberin, die an einem ähnlichen einfachen Webstuhl webt wie sie es gerade tut. Sie schaut sich das Foto an aber nicht das Gesicht der jungen Frau sondern den Stoff: Nein, sie kann es nicht sein, denn dieses Muster kann sie nicht weben. Die Enkelin des Häuptlings kommt vorbei und zeigt uns ihrerseits Fotos aus Jakarta, wo sie im Mai auf dem Laufsteg aus Toraja-Stoffen gefertigte, modische Kleider vorgeführt hat. Die neuen Muster sind einfacher und die Farben kräftiger, denn mit Naturfarben wie vor 30 Jahren wird heute nicht mehr gefärbt. Diese benötigen viel Zeit und bleichen schnell aus, was die Weberinnen als Nachteil sehen. Johannes Todi aus einem abgelegenen Dorf hat allerdings den Wert der dort noch aktiven Tradition der Ikatweberei mit Naturfarben erkannt. Er verkauft die Stoffe der Weberinnen auf Kommission in Rantepao in seinem modern gestalteten Todi-Laden, wo auch Kreditkarten akzeptiert werden.
So hat vielerorts die moderne Zeit Einzug gehalten, aber anderes ist noch immer so, wie wir es von unserer ersten gemeinsamen Reise in Erinnerung haben, seien es die schlammigen Straße in Tana Toraja, die Rikschafahrer in Makassar oder die Auslegerboote am Strand nur wenige Meter entfernt von meinem Laptop, von dem ich vor 30 Jahren kaum zu träumen gewagt hätte.
Und weil Stefan meint, das klingt alles zu positiv, möchte ich nicht unerwähnt lassen die Sandfliegen, die häufigen Regenfälle trotz Trockenzeit, die Schlaglöcher, die Goldmine, die illegal vor dem gegenüberliegenden Nationalpark schürft und die Muslime und Christen, die auf Ambon vor zwei Wochen wieder aufeinander eingeschlagen haben mit dem Resultat von sieben Todesopfern. Dennoch genießt er die Begegnungen mit den Menschen, die göttliche Ruhe und das angenehme Klima.
Bevor wir unsere Reise durch die östliche Inselwelt fortsetzen, hoffe ich bald eine Möglichkeit zu finden euch diese Mail zu schicken, denn Internet gibt es hier noch nicht und Strom vom Generator nur von Sonnenuntergang bis 22 Uhr.
Auch wenn der Akku bald leer ist, so sind unsere Akkus gut gefüllt, sodass wir diese Reise noch voller Energie fortsetzen können.
Herzliche Tropengrüße von
Renate und Stefan