TRAVELSTORIES – Stefan & Renate Loose unterwegs

gesammelte Briefe 2004–2024

Unterwegs auf Timor Leste

Ihr Lieben,

es ist der zweite November – Allerseelen in Timor Leste. Auf den Friedhöfen drängen sich die Menschen, schmücken die frisch gestrichenen Gräber mit Blumen und Kerzen und beten für ihre verstorbenen Familienangehörigen. Auf dem Friedhof Santa Cruz in Dili, der Hauptstadt dieses jüngsten asiatischen Landes, haben die Besucher bereits um die Mittagszeit einen Berg von Blumen und Kerzen unter einem einfachen Kreuz aufgehäuft, das an die Opfer des Masakers von 1991 erinnert. Damals war ein britischer Kameramann dabei und die Weltöffentlichkeit schaute zu, als das indonesische Militär über hundert Zivilisten erschoss. Es war nur eines von vielen blutigen Ereignissen in der jüngsten Geschichte dieses armen Landes. Während unserer einwöchigen Rundreise durch das Land werden wir überall mit den Erinnerungen an Massaker, Unrecht und Gewalt konfrontiert, mit Relikten sinnloser Zerstörung und anhaltender Verunsicherung.

 

Es ist ein seltsames Land – nur eine Flugstunde von Darwin entfernt. Die offizielle Währung ist der US$, allerdings wird alles unter einem Dollar mit einheimischen Münzen bezahlt. Die offizielle Landessprache ist Portugiesisch, das allerdings kaum einer richtig gelernt hat, denn bis zum Abzug der Indonesier 1999 wurde in den Schulen auf Indonesisch unterrichtet. Die gerade mal eine Million Einwohner verständigen sich untereinander in Tetun und anderen lokalen Dialekten. Jetzt möchte man die Spuren der jüngsten Besatzer beseitigen und greift auf die Sprache der ehemaligen Kolonialherren zurück.

 

Wir erkunden Timor Leste

Vom Flugplatz fahren wir am Meer entlang, vorbei an den Botschaften von Malaysia, den USA und Japan zum Hotel Esplanada. Hier kommen wir uns vor wie in einer Außenstelle der Vereinten Nationen, denn fast alle Gäste arbeiten bei der UN oder einer der Hilfsorganisationen. Das Hotel ist für unsere Verhältnisse recht teuer, hat aber mehrere Vorteile. So verfügt es über ein nettes, offenes Restaurant im ersten Stock mit Blick aufs Meer, hat fließend warmes und kaltes Wasser sowie Elektrizität rund um die Uhr, was in allen Unterkünften, in denen wir außerhalb von Dili schlafen, keine Selbstverständlichkeit ist. Meist gibt es nur Strom vom Anbruch der Dunkelheit bis nach Mitternacht, dafür ist er umsonst.

 

Von Dili aus starten wir mit Afonso, unserem 32-jährigen Guide und Fahrer des Geländewagens, in die Berge. Während der gemeinsamen Reise erfahren wir, dass dieser überaus charmante, höfliche junge Mann während der Unabhängigkeitskämpfe vom indonesischen Militär schwer verletzt wurde und erst nach drei Monaten im Dschungel von Nonnen gerettet werden konnte.  Diese Geschichte, die er am Ende der Reise erzählt, macht uns sehr betroffen, denn er ist kaum älter als unser Sohn. Zudem hat er sich immer auch positiv über indonesische Lehrer und andere Indonesier, mit denen er aufgewachsen ist, geäußert.

Unsere Tour geht von Dili hinauf in die Berge durch das Kaffeeanbaugebiet, in dem die Büsche gerade am Ende der Trockenzeit in voller Blüte stehen und einen betörenden Duft verbreiten. Die Straße windet sich weiter hinauf über Aileu nach Maubisse, wo wir in einem Pousada aus portugiesischer Zeit die Nacht verbringen. Die fantastische Aussicht entschädigt uns für das heruntergekommene Zimmer und die lieblos zubereitete Kost. Weiter fahren wir über einen 1800 m hohen Pass und durch viele traditionelle Dörfer nach Ainaro und hinab an die Südküste über Zumalai nach Suai. Hier hatte man Indonesier von anderen übervölkerten Inseln angesiedelt. Bevor sie 1999 das Land wieder verlassen mussten, zerstörten sie viele ihrer Häuser, Verwaltungsgebäude und die Pertamina-Tankstelle. Zwischen den Ruinen leben nun die Einheimischen in Hütten aus Bambus, die mit Palmblättern gedeckt sind, denn für den Bau solider Häuser fehlt ihnen das Geld. Der Treibstoff wird mittlerweile von der einzigen neuen chinesischen Tankstelle verkauft. Auf der Rückreise kommen wir durch Bobonaro, einem beliebten Urlaubsort der Portugiesen in den Bergen mit einer heißen Quelle, doch alles, was an touristischer Inftrastruktur einmal vorhanden war, liegt in Ruinen.

Vor allem entlang der Küste und im zweitgrößten Ort Baucau begegnen uns viele Ausländer, die im Land arbeiten und die Feiertage für einen Ausflug nutzen, aber nur ein einziger anderer Tourist. Dabei verfügt das Land über atemberaubende Berglandschaften, traditionelle Dörfer, wunderschöne Sandstrände und fantastische Tauchgründe. Die Straßen in den zerklüfteten Bergen, die den größten Teil des Landes ausmachen, sind allerdings so schlecht, dass wir jeden, den wir während des Fahrens treffen, mit einem „Bom Dia“ begrüßen können. „Bom Dia Malai“ – „Guten Tag Ausländer“ ist häufig die Antwort.

 

Alltag in Timor Leste

Die Menschen sind überaus freundlich. Als wir neugierig in einem festlich geschmückten Dorf anhalten, werden wir vom gerade angereisten Pfarrer zum Kaffee eingeladen. Nach dem Gottedienst will man in einer Prozession mit traditionellen Tänzen und Musik eine Madonnenstatue in den nächsten Ort bringen, der eine beachtliche Strecke entfernt liegt. Man ist es gewohnt, weite Entfernungen zu Fuß zurückzulegen, denn es verkehren kaum Busse, und die meisten Menschen können sich selbst Fahrten auf der Ladefläche eines Lastwagens nicht leisten.

 

Seit der Unabhängigkeit sind die Lebenshaltungskosten stark gestiegen. Alles ist hier etwa dreimal so teuer wie im benachbarten Indonesien. Viele machen dafür die Vereinten Nationen und ausländischen Hilfskräfte, die jeden Preis zahlen, verantwortlich aber prangern auch die Gier einheimischer Geschäftemacher an. Zudem muss alles importiert werden. In den Supermärkten in Dili gibt es Zahnpasta aus Thailand, Malaysia, China, Indonesien und Australien. Fast der gesamte Reis wird per Schiff ins Land gebracht. Selbst der Kaffee auf den lokalen Märkten stammt aus Indonesien, obwohl das wichtigste Exportprodukt von Timor Kaffee ist. Dieser wird allerdings nicht hier sondern im Ausland verarbeitet.

Es fehlt an allem, und so setzt man große Hoffnung auf das Öl, das vor der Südküste gefördert werden soll und das bereits für China reserviert ist. Die aufsteigende Globalmacht hat im Zuge ihrer Entwicklungshilfe viele machtpolitisch bedeutsame Gebäude errichtet: Das Außen- und Verteidigungsministerium ebenso wie den Präsidentenpalast und das neue Elektrizitätswerk, das den ständigen Stromausfällen ein Ende bereiten soll. Dann werden vielleicht auch die wenigen Ampeln in Dili funktionieren, deren Funktion derzeit während der Rushhour von Verkehrspolizisten übernommen wird. Im Gegensatz zu Australien, wo alles durch Schilder geregelt ist, gibt es hier so gut wie keine. Seltsamerweise warnt eines der wenigen verrosteten Verkehrsschilder an der Küstenstraße vor Krokodilen. Australien lässt grüßen!

 

Auch wir grüßen alle, die unsere Reise verfolgen und verabschieden uns für heute mit einem Adeus aus Dili.

Renate und Stefan

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