Früh um sechs im Rajdhani Express in Guwahati. Draußen drängen sich die Menschen auf dem Bahnsteig. Langsam füllt sich der Zug. Ich möchte die Chance in einem relativ ruhigen Abteil nutzen endlich die vor Tagen begonnene Mail weiterzuschreiben wofür unser dicht gedrängtes, interessantes Programm bislang keine Gelegenheit bot. Mit der Ruhe ist es allerdings schon wieder vorbei seit sich eine laut telefonierende Mutter mit kleiner Tochter und Kinderfrau zu uns gesellt hat.
Von Dibrugarh, im Herzen des Teeanbaugebiets von Assam, bis in den Kaziranga Nationalpark haben uns auch Kerstin und mein Bruder Ottmar begleitet. Eines unserer ersten Ziele ist Majuli, die riesige Flussinsel im Brahmaputra, die wir vor zwei Jahren bereits besucht haben. Über den gewaltigen Fluss tuckern gemächlich riesige Fähren. Auf der Tafel mit Fahrpreisen für Passagiere und Güter werden sogar Ochsenkarren und Elefanten mit Mahouts gelistet. Selbst das Verladen der Autos gestaltet sich als recht abenteuerlich. Jyothi aus Majuli verleiht mittlerweile Fahrräder, sodass wir einen Nachmittag auf staubigen Sandstraßen durch geruhsame Dörfer und erntereife Reisfelder radeln können.
Der Zug fährt an, bleibt aber bald mitten in einem Slum stehen. Ein junger Müllsammler hockt direkt neben dem Bahndamm vor seiner Hütte aus Plastikplanen und hält stolz seine junge Tochter in den Armen, die mir ständig zuwinkt. Beide freuen sich, als ich mit ihr Verstecke spiele. Unsere telefonierende Nachbarin schaut konsterniert zu.
In Kohima in Nagaland treffen sich in der ersten Dezemberwoche alle sechzehn Nagastämme, um gemeinsam zu feiern. Vor vier Jahren waren wir bereits dort, allerdings viel zu kurz, sodass wir unbedingt noch einmal einen Tag mit den festlich herausgeputzten Nagas verbringen wollen. Die wenigen Hotels sind in dieser Zeit natürlich ausgebucht. Deshalb hat unser alter Bekannter Angole, ein Angami-Naga, seine Verwandten im nahen Kigwema um eine Unterkunft gebeten. So kommen wir in den Genuss in einem echten, alten Nagahaus zu übernachten, abends um das Küchenfeuer gescharrt Geschichten zu lauschen, die uns in eine andere Welt katapultieren. Am nächsten Morgen werden wir vom Krähen der Hähne und von englischen Weihnachtsliedern geweckt. Viele der ehemaligen Kopfjäger und Animisten sind in den vergangenen Jahrzehnten christianisiert worden.
Angole lässt es sich nicht nehmen, uns sein Dorf Khonoma zu zeigen, dass umgeben von Reisterassen strategisch günstig auf einer Bergkuppe liegt. Es ist für seine kriegerische Geschichte wie für seinen jüngeren Wandel zu einem Ökodorf bekannt und offeriert einfache aber gemütliche Homestays bei Familien.
Während draußen Ortschaften vorbeihuschen, die langsam zum Leben erwachen, und wir auf einer gewaltigen Stahlkonstruktion zum letzten Mal den riesigen Brahmaputra überqueren wird Tee gebracht: Thermoskannen mit Heißwasser, Teebeutel und Kekse. Wir können vegetarisches oder nichtvegetarisches Frühstück bestellen.
Der Kaziranga Nationalpark bildet den Abschluss unserer gemeinsamen Reise. Endlich haben wir die Gelegenheit auf Elefanten zu reiten und im weiten Grasland Nashörner, wilde Wasserbüffel und Elefanten, viele Vögel und Rudel von Rehen zu beobachten. Nur den Tiger haben wir wieder verpasst. Maria Anna, Kerstin und Ottmar sind noch in der Lodge, als in der Nachbarschaft eine Tigerin mit ihrem Jungtier auftaucht. Als die herbeigerufene Polizei Schüsse abfeuert will sie ihr Junges verteidigen, greift an und wird erschossen. Das unangemessene Verhalten der Polizei löst selbst in der Times of India eine heftige Debatte aus.
Wir sind derweil mit Asit auf dem Weg in die Pakke Tiger Reserve in West-Arunachal. In dem abgelegenen Tal erwartet uns ein neues Projekt von Help Tourism in Zusammenarbeit mit einem Nyishi-Dorf, das für die Erweiterung eines Korridors für wandernde Elefanten umgesiedelt wurde. Einige Bewohner finden mittlerweile bei der Forstbehörde Arbeit. Andere hoffen im Tourismus eine weitere Beschäftigungsmöglichkeit zu finden. Es geht den Nyishi, die tibeto-burmesischen Ursprungs sind, weniger ums Geld als viel mehr ums Prestige. So werden wir zuerst von einer Delegation im Dorf herumgereicht, sitzen in Bambushütten beim Herdfeuer und trinken Tee. Nishi-Männer, die ihre Hüte mit Federn, dem Schädel und bunten Schnabel der Nashornvögel schmücken, haben sich mittlerweile dem Schutz dieser vom Aussterben bedrohten, riesigen Vögel verschrieben und die echten Schädel durch Kopien aus Kunststoff ersetzt.
Am Nachmittag treffen sich die Häuptlinge der benachbarten Dörfer in unserem Camp zu einem Meeting, bei dem reichlich Hirsebier konsumiert wird. Bei Sonnenuntergang sitzen wir zusammen mit ihnen am Lagerfeuer. Die Frauen tanzen. Dann beginnt der alte Häuptling zu erzählen …
Das Frühstück kommt: Idli (ein Donut aus weißen, fermentierten Linsen), eina Art Polenta mit Chilis, Weißbrot und scharfe Currysoße. Wir sind mittlerweile von unseren Nachbarn mit Orangen beschenkt und zu ihren Familien eingeladen worden. Draußen wird der letzte Reis mit der Sichel geschnitten. Kühe weiden auf abgeernteten Feldern. Die ersten Bauern sind mit ihrem Ochsengespann und Holzpflügen dabei den Boden umzubrechen. Ein Erntezyklus ist beendet.
Auch unsere Rundreise durch den Nordosten nähert sich ihrem Ende.
In Siliguri erwarten uns unser Freund Raj und seine Familie. Wie wir ihn kennen, wird uns zwischen Meetings und Reisen wenig Zeit bleiben noch einmal zu schreiben.
Deshalb wünschen wir euch heute bereits ein friedliches Weihnachtsfest und angenehme Feiertage!
Renate und Stefan