TRAVELSTORIES – Stefan & Renate Loose unterwegs

gesammelte Briefe 2004–2024

Aus Rajasthan

Schon wieder Indien? Schon wieder ein -sthan? Warum eigentlich? Darauf erhalten wir jeden Tag eine weitere Antwort. Selbst nach so vielen Jahren überrascht uns dieser Subkontinent mit seiner vielschichtigen Kultur tagtäglich aufs Neue.
In diesem Jahr sind wir die ersten beiden Tage zu Gast in Delhi in einem Haus, das Europa und Asien vereint, führen stundenlang interessante Gespräche über Ost und West, Feudalismus und Demokratie (Frage: Gibt es in Deutschland noch feudale Strukturen?). Daneben organisieren wir alles für die Weiterreise – vom Transport und Lesestoff bis zur SIM-Card fürs Handy.

Shekhawati

Unsere erste Station in Rajasthan ist die Shekhawati-Region – eine wenig besuchte, abgelegene, trockene Gegend 300 km westlich von Delhi. In den für indische Verhältnisse kleinen Ortschaften stehen hunderte von einst repräsentativen Havelis, die im Verfall begriffen sind. Noch bis vor gut hundert Jahren kündeten sie vom Wohlstand ihrer Besitzer – Kaufleute, die vor allem den Handel zwischen der Hauptstadt Calcutta in Bengalen und den persischen wie arabischen Händlern kontrollierten. Die Häuser waren ihre Visitenkarten, die eintreffenden Karawanen ihren geschäftlichen Erfolg vor Augen führten. Gleichzeitig waren ihrer Frauen hinter hohen Mauern und schweren Türen vor lüsternen Männerblicken geschützt.

 

Empfangshalle im Haveli

Es war zur Mode geworden, die Fassaden und Innenräume über und über mit religiösen wie weltlichen Motiven zu bemalen – mit Szenen aus jahrtausende alten Epen ebenso wie mit Eisenbahnzügen, die in Ermangelung echter Vorlagen nach Bildern aus britischen Büchern und mit viel Phantasie gestaltet wurden. Da hat die Lokomotive schon mal die Form eines dampfenden Elefanten, und Wagons sehen aus wie kleine Häuser auf Rädern.

2 Brunnen - Keine Moschee...

Nach einer langen Reise konnten sich die Männer und Kamele der eintreffenden Karawanen bereits am Ortseingang an Brunnen stärken. Diese waren bereits von weitem an ihren hohen, minarettartigen Türmen zu erkennen. Ihre steinernen Pavillons luden zum Plausch ein und waren das Informationszentrum von Reisenden wie Einheimischen – das erste Tourist Office.

Hausmeister eine Havelis

All diese Herrlichkeit verfällt, die mit Liebe zum Detail bemalten Fassaden verblassen und zerbröseln. Das Einkaufszentrum des 18. und 19. Jahrhunderts hat ausgedient. Die Nachfahren der Kaufleute gehen mittlerweile in Delhi, Bombay oder Calcutta ihren Geschäften nach. In vielen Havelis lebt höchstens noch ein alter Hausmeister.

 

 

So schön kann eine Lehmhütte sein...

Wir wohnen im Apani Dhani, einem Öko-Resort, das von Ramesh erbaut wurde. Er hat mehrere Jahre im Ausland gelebt und hier viele gute Ideen verwirklicht. Unsere komfortable Rundhütte aus Lehm ist mit Elefantengras gedeckt. Das Essen ist biologisch-vegetarisch, das meiste wird direkt nebenan angebaut, und die Milch für den Tee stammt von der Kuh und den Ziegen hinter dem Restaurant.  Aus der Nachbarschaft kommt der Sänger, der uns am Abend mit klassischen Gazalen erfreut ebenso wie der Färber, bei dem ich einen Batikkurs belege. Zudem lernen wir in einem Kochkurs einiges Neue über indische Gewürze und Zubereitungsarten aber mühen uns vergeblich Chapati-Fladenbrote so rund wie die Vorlagen hinzubekommen.

Pushkar

Pushkar Lake

Auf unserer ersten Indienreise hatten wir hier bereits einige nette Tage verbracht. Mit etwas Glück ziehen wir sogar wieder ins Haveli Seventh Heaven ein – ein nettes Gästehaus mit entspannter Atmosphäre. Nach Pushkar kommen zahllose Pilger aus allen Landesteilen, um Lord Brahma, den Schöpfer der hinduistischen Götterwelt, zu ehren. Zu ihnen gesellen sich bereits seit den 60er Jahren Rucksacktouristen aus aller Welt. Die geschäftigen Händler in den schmalen Gassen am Ufer des heiligen Sees haben sich auf die bunt gekleideten Hippies ebenso eingestellt wie auf indische Großfamilien.

Beim Frühstücken vor einem kleinen Café sitzen wir mittendrin: gegenüber feilscht ein barfüßiger Patriarch mit riesigem Turban um einen Spazierstock, direkt neben ihm sammeln in Lumpen gekleidete Kinder Pappe und Papier von der Straße auf, ein stolzer Brahmane schreitet vorüber, und beinahe hätte eine heilige Kuh meinen Pfannkuchen erwischt. Wesentlich entspannter sitzt man auf den Dachterrassen und in Gartenrestaurants, vor allem am Abend, wenn die Temperaturen von 35 auf 25 Grad absinken. Allerdings gibt es in der heiligen Stadt weder Fleisch noch Eier und Alkohol. Dafür weist die Speisekarte im Moondance Garden Restaurent – dank der internationalen Backpackerszene – allerlei exotische Gerichte auf, wie: Augration, Roasty, Taccoch De Chilly, Pizze Ferwsche, Forno A Lenga und mehr.

Bundi

Die angenehme Kleinstadt 200 km weiter südlich erreichen wir mit dem Taxi, einem Kleinwagen Tata Indica, nach gut 4 Std. Fahrt, für die wir 23 Euro hinblättern müssen von denen der Fahrer 15 Euro erhält. Wir haben wieder einmal die richtige Unterkunft gebucht, in der über kurz oder lang die meisten Ausländer zumindest zum Essen landen. Einige, die wir bereits in Pushkar getroffen haben, sehen wir hier wieder. Jeder ist begeistert von der angenehmen, entspannten Atmosphäre des Ortes.

Über den verwinkelten Gassen thront eine mächtige Burg, die die 76. Generation des über tausend Jahre alten Mewar-Familiengeschlechts aus Udaipur immer noch ihr Eigen nennt. In den verlassenen Räumen vermitteln phantastische Wandgemälde einen Eindruck vom einstigen Leben hinter den hohen Mauern.
Manche Szenen in der darunter liegenden Altstadt scheinen geradewegs diesen Bildern entsprungen zu sein. 

Am Rand der Stadt an einem kühlen See steht ein kleines Jagdhaus, in dem Rudyard Kipling das Dschungelbuch und Teile von Kim geschrieben hat – ein traumhaft schönes Plätzchen, um das wir ihn alle beneiden würden. Er war damals vom Maharao hierher eingeladen worden.

Udaipur

Hier sind sie Zuhause, die Mewar-Herrscher, die wahrscheinlich die älteste Dynastie der Welt darstellen. Hier haben sie einen ihrer Paläste in einem See zum exklusivsten Hotel von Rajastan umgestaltet, wo kein Zimmer unter 380 Euro zu bekommen ist. Wir genießen von der Dachterrasse aus den luxuriösen Ausblick über den See auf das Lake Palace Hotel und geben uns mit einem durchaus komfortablen und stilvollen 15 Euro-Zimmer zufrieden.
Am Rand des Sees drängen sich Hotels und Souvenirläden. Touristen aus aller Welt strömen durch den zur Besichtigung freigegebenen Teil des Palastes. Zu sehen sind vor allem Waffen und Gemälde der früheren Herrscher – von denen es bekanntlich viele gibt – sowie von blutdrünstigen Schlachten und Jagdszenen. Wir sitzen in einem der Innenhöfe und lauschen wieder einmal den unterhaltsamen Erläuterungen der Fremdenführer.
Sobald man die touristische Altstadt am See verlässt, ändert sich das Gesicht der Stadt. Zuerst kommen wir durch die Gasse der Silberschmiede, es folgen Gold- und Stoffhändler, Schuhmacher und Küfer. Selbst für einen indischen Kleinwagen ist in vielen Gassen kein Durchkommen. So bewegt man sich mit Motorradrikschas, Motorrädern oder geht zu Fuß. Waren werden auf Lastkarren und kleinen Lastwagen transportiert oder der Einfachheit halber gleich von der Ladefläche herunter verkauft. Inmitten des dichten Gedränges suchen Hunde und heilige Kühe in Abfällen nach Verwertbarem. Eine Tour durch die schmalen Gassen ist ein Hindernislauf, bei dem alles in Bewegung ist. Zudem stauen sich die Abgase, und unsere Augen beginnen bereits nach einer Stunde zu tränen. In diesen Tagen sind die Gold- und Silberläden voller Menschen, denn am 28.10. ist Dewali, das hinduistische Lichterfest und Neujahr, Fest der Göttin Lakshmi, die Wohlstand verspricht.
In den vergangenen 3 Tagen sind wir von Udaipur ganz im Westen Indiens über Delhi nach Siliguri am Fuß des östlichen Himalayas geflogen – von der Wüste zu den wolkenverhangenen Teeplantagen. Hier ist es auch nicht mehr die Göttin Lakshmi sondern Kali, die grausame Göttin, die im Zentrum des morgigen Festes steht. Doch mehr darüber und unsere spannende zweite Tour durch den Nordosten in unsere nächsten Mail.
Nun möchte ich die Gelegenheit eines Internet-Zugangs nutzen, euch dieses erste Lebenszeichen von unserer Reise zu schicken, von der wir wahrscheinlich erst im März nach Deutschland zurückkehren werden. Wir hoffen, dass ihr alle die dunkle Jahreszeit gesund übersteht und freuen uns über Neuigkeiten.
Seid herzlich gegrüßt von
Renate und Stefan

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