Ihr Lieben,
nach den schrecklichen Ereignissen in Mumbai möchten wir euch bei der ersten Gelegenheit, die sich uns bietet, und etwas früher als geplant unsere nächste Rundmail schicken. Wir sind nicht in Mumbai sondern in Dhaka, und uns geht es gut. Wir denken an alle, die derzeit mit großen Problemen konfrontiert sind, auch unter unseren Freunden, und wünschen ihnen viel Kraft und Zuversicht diese schwere Zeit zu überstehen.
Es gibt wirklich noch einige wenige Länder in Asien, die wir noch nicht bereist haben. Eines davon ist bzw. war Bangladesh, aus dem ich euch nun diese Mail schicke. Es scheint bereits eine Ewigkeit her zu sein, dass wir Arunachal verlassen haben. Einige haben es bemerkt, dass eine kurze Episode fehlt, die ich allen, die nicht an unserem Schulprojekt beteiligt waren, nicht vorenthalten möchte. Daher hier eine kurze Zusammenfassung von dem, was in M´pen 2 geschah:
In M´pen 2 am Fuß des Namdapha Nationalparks leben buddhistische Chakma, die in den 60er Jahren aus Bangladesh flüchten mussten. Die Bewohner des Dorfes werden ständig mehr, und der Bevölkerungsdruck wirkt sich auf den Namdapha Nationalpark aus. In diesem kaum erforschten Dschungelgebiet leben noch viele Hoolock Gibbons und andere endemische Tier- und Pflanzenarten. Im Dorf selbst gibt es bislang nur eine einfache Hütte als Schule für die jüngeren Kinder, die den zweistündigen Schulweg zur zentralen Schule nicht gehen können. Bei unserem Besuch im vergangenen Jahr ist die Idee ent- standen, den Bau einer richtigen Schule zu finan- zieren, die gleichzeitig als Informationszentrum über den Nationalpark fungiert.
Als wir ankommen herrscht Festtagsstimmung. Wir erfahren, dass heute die Grundsteinlegung stattfinden soll, zu der außer uns auch der Field Director der Nationalparkverwaltung als Ehrengast erwartet wird. Nach der offiziellen Eröffnungszeremonie an einem großen Gedenkstein, an der ein buddhistischer Mönch beteiligt ist, lockert sich die Stimmung. Es gibt Essen, aber uns begeistert weniger das fette Schweinefleisch und die Innereien als die hübsche Festtagskleidung der Frauen aus handgewebten bunten Stoffen, in die alle drei Frauen unserer Gruppe bald ebenfalls eingekleidet werden.
Den letzten Abend mit unserer Arunachal-Reisegruppe verbringen wir in einem neuen Camp südlich von Dibrugarh am Fluss. Auch hier hat Raj wieder einige Überraschungen für uns vorbereitet. Einer unserer Mitreisenden hat den Wunsch geäußert, sich vor dem Rückflug nach Deutschland noch rasieren zu lassen. Da unser Camp aber weitab von jeder menschlichen Siedlung liegt, lässt er den Barbier kommen. So haben unsere männlichen Reiseteilnehmer das einmalige Vergnügen einer professionellen Rasur in freier Natur.
Da wir schon einmal im Nordosten sind, möchten wir uns natürlich das touristische Highlight nicht entgehen lassen und gehen erneut im schönsten Nationalpark Indiens auf Safari. Bei Sonnenaufgang besteigen wir wieder einen Elefanten (den bequemsten der Reise) und reiten hinaus ins Grasland, wo wir aus ziemlicher Nähe die gewaltigen Kolosse von indischen Panzernashörnern beobachten können.
Am zweiten Tag ist eine Jeepsafari angesagt, doch zuvor hat uns Raj gebeten eine Inspektion in einem Mishing-Dorf am Ostrand des Nationalparks zu machen. Das äußerst ärmliche Dorf möchte auch etwas vom touristischen Kuchen abbekommen und hofft auf Tagesbesucher, denen man ein kleines Kulturprogramm bieten und Webarbeiten verkaufen könnte.
Allerdings gibt es im Dorf keine einzige Toilette, und so hat Help Tourism Geld für diese absolut notwendige Einrichtung zur Verfügung gestellt.
Als wir uns dem Dorf nähern sehen wir schon von weitem, dass wir bereits von einem Empfangskomitee erwartet werden. Nachdem uns die Ältesten begrüßt haben, werden wir von Trommlern und Tänzerinnen begleitet zum Dorfplatz geleitet, wo wir wieder einmal Reden halten dürfen, von einem lokalen Journalisten fotografiert und anschließend zu einem Snack und Reisbier eingeladen werden. Beim Rundgang durch das Dorf wird uns klar, dass diese Menschen bereits seit Generationen in direkter Nachbarschaft zum Nationalpark leben und sich tagtäglich den Herausforderungen durch wilde Elefantenherden, Tiger, Büffel und Nashörner stellen müssen. Es wäre spannend, hier eine Nacht zu bleiben. Allerdings hat unsere Toiletteninspektion ergeben, dass die Dorfbewohner zwar guten Willens sind aber aufgrund ihrer fehlenden Erfahrung einfach nicht wissen, dass ein Waschbecken eine Wasserzuleitung und eine Toilette ein Fallrohr benötigt. Da muss einfach noch einmal ein Fachmann her.
Während wir mit den Ältesten plaudern haben die Kinder unseren Jeep erobert und werden nun von unserem Fahrer unter großem Jubeln durchs Dorf kutschiert. Als er bei uns anhält, glauben wir es kaum, als von der Ladefläche, auf der normalerweise höchstens 6 Touristen Platz haben, 22 Kinder absteigen.
Unser Besuch im Dorf hat noch ein kleines Nachspiel. Am folgenden Vormittag hat der alte Jeep auf dem Weg zurück in unsere Lodge eine Panne. Während wir am Straßenrand auf ein Ersatzfahrzeug warten, kommt plötzlich ein Mann auf uns zu und sagt, dass er uns kennt – aus der Zeitung. Und wirklich, unser Foto prangt heute auf der ersten Seite der assamesischen Regionalzeitung!
Auf dem regenreichen Hochplateau zwischen der Tiefebene von Assam und Bangladesh glaubt man mitten in Südostasien zu sein. Im üppig grünen Hochland mit vielen Bambuswäldern leben überwiegend Khasi, die eine Mon-Khmer-Sprache sprechen und mittlerweile zumeist Christen sind. Die beiden lebenslustigen Brüder aus Shillong, Robin und Deepak Lalu, haben uns unter ihre Fittiche genommen. Wir verbringen einen lustigen Abend mit Robin in seinem Wochenendhaus am See und fahren am folgenden Tag mit Deepak in ein Khasi-Dorf, das er seit Jahren betreut. Seither hat es Schlagzeilen gemacht als das sauberste Dorf Indiens – und das zu Recht. Wir wohnen neben der Kirche in einem Gästehaus, das ganz aus Bambus gebaut ist, und gehen mit einem lokalen Guide auf Tour.
Wir sind etwas erkältet und nicht ganz fit, aber eine kleine Wanderung von 1 ½ Stunden zu Brücken aus Wurzeln lebender Bäume und einem Wasserfall möchten wir uns nicht entgehen lassen. Es geht auf schmalen Fußpfaden und schlüpfrigen Steintreppen ständig bergauf und bergab, und am Ende sind wir 6 Stunden unterwegs. Erschöpft und unaufmerksam rutsche ich an einem Felsen am Wasserfall aus und bin die nächsten Tage gezwungen etwas ruhiger zu treten.
Als wir mit Deepak am Rand des Plateaus stehen und auf Bangladesh hinabblicken meint er, dass diese weite Tiefebene in der Regenzeit eine einzige endlose Wasserfläche sei. Und so tauchen wir denn ab in dieses Land von dem wir Bilder im Kopf haben von Armut und Überbevölkerung, Zyklonen und Überschwemmungen, nahe dran, zum Spielball von Islamisten zu werden oder als Opfer der Klimakatastrophe im Meer zu versinken.
Seit zehn Tagen reisen wir nun durch dieses Land in Begleitung von Tusher, einem dreißigjährigen Bengalen, der für uns übersetzt, den Transport und vieles mehr organisiert. Zu Tusher sind wir gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Als Raj erfahren hat, dass wir planen nach Bangladesh zu fahren, kontaktiert er Milon in Dhaka, den wir unbedingt treffen sollen. Milon hält es für seine Pflicht, sich um uns als seine Gäste zu kümmern. Da er zwar sehr gerne reist, aber als Banker und Familienvater wenig Zeit hat, beauftragt er seinen „Bruder“ Tusher sich um uns zu kümmern. So kommt es, dass wir in Tamabil hinter der Grenze von Tusher abgeholt werden und mit einem Mietwagen, den er für 3 Tage gemietet hat, nach Sylhet fahren.
In Sylhet gibt es mehrere Sufi-Schreine, und in einem findet gerade ein großes Fest statt. Bereits am ersten Abend befinden wir uns mittendrin im Trubel, sind umringt von Menschenmassen in religiöser Exstase, Neugierigen und Bettlern, die Allah preisen und auf ihre Behinderungen aufmerksam machen.
Nach diesem turbulenten Auftakt begeben wir uns in den nächsten Tagen in ruhigere Gefilde und fahren durch eine weite Ebene mit saftig-grünen Reisfeldern und gepflegten Dörfern nach Srimangal. Wir können es kaum glauben, als sich jenseits des kleinen Ortes das Land von einer völlig neuen Seite zeigt: Endlose Teeplantagen begrenzt von dichten Wäldern erstrecken sich über ein hügeliges Land – und wir kommen uns fast vor wie in Darjeeling.
In einem etwas schäbigen Zug zuckeln wir nach Chittagong, der großen Hafenstadt, wo wir nicht nur gut durchgeschüttelt sondern auch immer noch ziemlich erkältet und mit einem starken Husten ankommen. Deshalb beschließen wir kurzerhand die Reise abzubrechen und in Dhaka einen Arzt aufzusuchen. Was wir vom kurzen Besuch in der Stadt in Erinnerung behalten sind die Läden mit Schiffszubehör von ausgemusterten Schiffen, die sich kilometerlang entlang der Ausfallstraße nach Norden erstrecken.
In einem bequemen Mercedes-Bus (Made in Malaysia) erreichen wir bereits nach 6 Stunden Fahrt auf hervorragenden Straßen die Hauptstadt, in der 12 Millionen Menschen leben. Am Abend besucht uns Milon, unser überaus freundlicher Gastgeber, und arrangiert für den nächsten Tag einen Arzttermin. In dem modernen Krankenhaus werden wir gleich nach unserer Ankunft von einem Professor untersucht, der hervorragendes Englisch spricht und sehr kompetent zu sein scheint. Er beruhigt uns, dass es nichts wirklich Ernsthaftes ist und verschreibt Medikamente, die wir passend abgezählt gleich im Haus ausgehändigt bekommen.
Schon am nächsten Tag fühlen wir uns besser und erkunden die Stadt. Mit Tusher als Guide fahren wir zu Dritt in einer Rikscha kreuz und quer durch die Altstadt, wo Moslems und Hindus Tür an Tür leben. Die Toleranz gegenüber Nicht-Muslimen ist hier weitaus größer als in Pakistan und Teilen Indiens. Zudem sind die Menschen äußerst freundlich und neugierig aber unaufdringlich. Keiner fordert uns auf etwas zu kaufen oder will uns zu etwas überreden.
Nachmittags im Liberation War Museum rufen wir uns die Geschichte von Bangladesh in Erinnerung, die Teilung von Indien als Ost-Pakistan und dann der Unabhängigkeitskrieg gegen Pakistan 1971. Wer die Bengalen mit ihrer Liebe zur Sprache und Literatur kennengelernt hat, kann ermessen, welchen Widerstand die damalige Einführung von Urdu als Landessprache hervorgerufen hat. Noch heute wird der Tag der Muttersprache als eines der größten Feste im Land gefeiert.
Abends nimmt uns Milon mit zur Kunstakademie, wo wir einige seiner Freunde kennenlernen, die Maler, Filmmacher, Bildhauer, Fotografen, Keramiker und andere bildenden Künstler sind. Wir sitzen bei Tee im dunklen Park, und sie erzählen uns von ihrem Kampf gegen den islamischen Extremismus und für die Freiheit der Kunst. Viele von ihnen haben im Ausland gelebt und alle haben äußerst liberale Ideen, die sie auch leben – selbst die Frauen.
Milon meint, wir könnten nicht Bangladesh verlassen ohne St. Martin gesehen zu haben, und seine Freunde stimmen ihm zu. Auch Tusher ist begeistert mit uns wieder zurück nach Chittagong und über den Badeort Cox´s Bazar am längsten Strand der Welt zur kleinen Insel am äußersten südostlichen Zipfel des Landes zu fahren.
Von dieser Insel und unserer weiteren Reise werden wir euch in einer späteren Mail berichten. Aus dem turbulenten Dhaka grüßen euch ganz herzlich
Renate und Stefan Loose