Ihr Lieben,
nach rasanten Reisetagen, fast schon -wochen, gemeinsam mit Raj durch Sikkim und den Westen von Assam werden wir schließlich auf Majuli, einer Insel im Brahmaputra, durch einen Generalstreik zum Nichtsttun gezwungen. Selbst das einzige Internet im Fotoshop im Hauptort der Insel ist ständig ausser Betrieb (Server down - streiken auch Server?).
Bereits um 16.30 Uhr geht die Sonne unter, und es wird empfindlich kühl, sodass wir uns nach dem Abendessen gleich in unsere luftige Bambushütte zurückziehen. Wenig später wird auch der Generator ausgeschaltet. Eine unglaubliche Stille macht sich breit, bis uns am Morgen das Gezwitscher zahlloser Vögel weckt (die Insel ist ein wahres Vogelparadies). Die chinesische Bettdecke ist schön bunt, wärmt aber kaum. Die Bettwäsche wird gelüftet statt gewaschen - zwei Gründe bekleidet schlafen zu gehen. Selbst dann wache ich nachts manchmal fröstelnd auf. Wir essen Kartoffelcurry mit einem halbrohen Ei zum Frühstück, Reis mit Linsen und Gemüse zum Abendessen. Das Wasser kommt aus dem Brunnen, doch die Pumpe ist kaputt. Nun gibt es "running water" im Eimer, das von einem der Jungs herangeschleppt wird. Auf Wunsch wird es sogar auf dem offenen Feuer angewärmt - der wahre Luxus. Das reduzierte Leben stört uns nicht. Wir haben Zeit zum Lesen, Spazierengehen, für eine Bootsfahrt und einem Besuch in einem Töpferdorf sowie in einem der zahlreichen Klöster der Vaishnaviten (eine hinduistische Reformbewegung).
Auf dem Rückweg legen wir einen Zwischenstopp in einer Teebude ein. Die kleinen Holzbuden mit Verkaufsständen dienen den Männern mehr zur Unterhaltung als dem Handel. Frauen flanieren vorbei und beobachten aus den Augenwinkeln das Geschehen. Radfahrer verlangsamen ihr Tempo, halten an für einen kurzen Schwatz. Unsere Teebude direkt neben dem Schneider nennt sich stolz Majuli Dhaba. Wir bekommen frischen Tee, wofür extra ein zweiter Topf herangeschafft wird. Gegenüber wird Fisch verkauft, davor ein Bambuskäfig mit lebenden Hühnern.
Vor dem Streik übernachtet auch eine französische "Abenteuerreise"-gruppe eine Nacht hier. Für sie werden von den Mishing (einer ethnischen Minorität) aus dem benachbarten Dorf abends Tänze aufgeführt. Doch die Abenteurer wollen kein Kulturprogramm, schliesslich sind sie keine Touristen wie die da, und meinen damit uns. Am nächsten Morgen packt sie der Guide in einen Geländewagen und fährt zum Hafen, wo bereits ein gechartertes Boot wartet ...
Nachdem wir unsere letzten Mail aus Darjeeling geschrieben haben, sind wir in die Tiefebene zurückgekehrt und gemeinsam mit Raj nach West-Assam gefahren, wo wir uns verschiedene touristische Dorfprojekte angesehen haben. Die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit der Menschen ist überwältigend. Als wir dieses anmerken, erhalten wir zur Antwort: "Für uns sind unsere Gäste wie unsere Götter."
Im westlichen Manas Nationalpark in Bodoland werden wir in Ultai Pani zur Eröffnung einer Lodge erwartet. Es werden Reden gehalten und Tänze aufgeführt. Einige Offizielle sind angereist, aber der wichtigste Mann ist anscheinend nicht gekommen. Am nächsten Morgen brechen wir zu einer kleinen Expedition auf. Sechs Männer und ich stiefeln durch den Dschungel in Richtung Bhutan, um einen alten, längst vergessenen Weg zu suchen, der in alten Schriften erwähnt wird, und auf dem im 7. Jh. der Begründer des tibetischen Buddhismus Padma Sambhava (Guru Rinpoche) das Gebirge überquert haben soll. Seine Wiederentdeckung könnte Bhutan und den Nordosten Indiens miteinander verbinden und diese Landgrenze durch den Manas Nationalpark eventuell auch für westliche Touristen öffnen. Wir folgen einem älteren Jäger (Wilderer), der den Weg zu kennen glaubt durch dichten Wald. Genau genommen wird es eine ziemlich anstrengende Wasserwanderung durch Bäche und Sümpfe mit zahllosen Blutegeln. Nach 4 Stunden haben wir den Weg wirklich entdeckt, und nach 6 Stunden kehren wir völlig verdreckt und verschwitzt mit blutenden Beinen zurück.
Vor unserer Lodge sind schwer bewaffnete "Ninjas" und ein indisches Fernsehteam in Stellung gegangen. Der Vizechef der autonomen Regierung von Bodoland ist eingetroffen. Mr. Kampa erweist sich als ein sehr interessanter, dynamischer Mann, der extra angereist ist, um sich von Raj über die weitere touristische Entwicklung unterrichten zu lassen. Nach einem angeregten Gespräch lädt er uns alle ein, mit ihm zusammen auf einen Tee hinüber nach Bhutan zu fahren und über den legalen, aber für Ausländer gesperrten Grenzübergang weiter im Osten zurückzukehren. Nach einigen Telefonaten hat er das okay, dass er auch uns in seinem Auto mitnehmen darf. Allerdings kommt es an der Grenze selbst noch zu einem Kräftemessen zwischen ihm, dem Vertreter der autonomen Regierung von Bodoland, und dem Militär der Zentralregierung. Die Spannung ist spürbar, und für 10 Minuten ist nicht klar, ob unser Konvoi aus 7 Geländewagen mit zahlreichen Schwerbewaffneten passieren darf oder nicht. Schließlich werden nach einem weiteren Anruf Hände geschüttelt, und der Schlagbaum öffnet sich.
Der District Collector in Bhutan empfängt uns und ist sichtlich angetan von dem Padma-Sambhava-Projekt in Manas. Schließich kommen nur wenige Ausländer während ihrer Bhutanreise hierher. Nach einem Gruppenbild geht es mit der Auflage, den direkten Weg zu wählen, zurück. Im Konvoi passieren wir unkontrolliert die Grenze und verabschieden uns nach einigen interessanten gemeinsamen Stunden am Headquarters der Regierung von Kampa Borgoyari.
Zwischen alldem ist noch viel passiert. Vielleicht finde ich einmal Zeit auch vom Dorf der 200 Töpferfamilien zu erzählen, von den Teeplantagen, den Nashörnern und der Elefantenherde, die wir gestern kurz vor Sonnenuntergang am Wasser beobachtet haben. Nun ist es allerdings an der Zeit, diese Mail zum Abschluss zu bringen.
Auch unsere Reise neigt sich dem Ende zu. Es wäre schön, wenn ihr das alles selbst einmal sehen könntet. Doch da gibt es viele Hindernisse. So wünschen wir uns, dass es für einige vielleicht doch einmal möglich sein wird, mit uns gemeinsam auf dem Pfad von Padma Sambhawa nach Bhutan zu wandern.
Eine schöne Zeit wünschen euch aus Assam
Renate und Stefan