Ihr Lieben,
wir können es einfach nicht lassen und sind auch in diesem Jahr wieder nach Indien zurückgekehrt - und nun bereits zum dritten Mal in Hampi. Was zieht uns eigentlich hierher? Sicherlich nicht der Dreck, Lärm und Gestank, das Chaos und die Menschenmassen.
Das gilt es allerdings erst einmal hinzunehmen, um überhaupt anzukommen. Dafür brauchen wir immer ein paar Tage, die mit einem typischen Indienkoller enden: Alles ist zu heiß, zu laut, zu dreckig und überhaupt viel zu viel. Dann hilft nur, sich mit einem spannenden Buch zurückzuziehen und in Ruhe abzuwarten, bis er vorübergeht. Das ist wie nach einem Sprung ins kalte Wasser. Hat man sich nach dem ersten Schock daran gewöhnt, ist das erfrischende Bad ein Genuss. Aber was genießen wir hier eigentlich? Es ist das Leben, wie es sich in seiner großen Vielfalt präsentiert, die vielen unvorhersehbaren Ereignisse, Gedanken sowie Fragen, die wir uns stellen, wenn wir mit offenen Augen diese völlig andere Welt bestaunen.
Unsere erste Strecke führt uns von Mumbai (Bombay) über Pune (Poona), Bijapur und Badami nach Hampi. Ein ständiger Strom an Lastwagen, Containerzugmaschinen und Schwertransportern aus allen Landesteilen quält sich über die von Schlaglöchern übersäten Landstraßen, die Highways genannt werden. Trotz waghalsiger Überholmanöver braucht unser Taxi für 320 km von Pune nach Bijapur 8 Stunden. Der Zug braucht noch länger, nur der Bus war auf der vierspurigen Schnellstraße von Bombay hinauf nach Pune schneller.
In Pune treffen wir nur wenige Touristen. Viele Restaurants und alle Internetcafes sind geschlossen, der gestylte Ashram von Osho hinter hohen Mauern schottet sich hermetisch von der Außenwelt ab, seit in der German Bakery nur wenige hundert Meter entfernt im letzten Februar ein Sprengsatz viele Todesopfer gefordert hat.
Unsere Route führt über das Hochplateau des Deccan, das nach dem Monsun in saftiges Grün getaucht ist, das in wenigen Wochen bereits verdorrt sein wird. Auch hier sind nach heftigen Regenfällen die Flüsse und Stauseen zum Bersten gefüllt, und Kokospalmen stehen bis zur Krone im Wasser. Die Unterkünfte in Hampi jenseits des Flusses waren 3 Tage lang durch das Hochwasser von der Außenwelt abgeschnitten.Wir wohnen allerdings am anderen Ufer im Dorf Hampi Bazar bei derselben Familie wie vor 4 Jahren und sind erstaunt, wie wenig in dieser Zeit passiert ist. Aber was sind in dieser Gesellschaft, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert hat, schon einige wenige Jahre. Nein, so ganz stimmt es nicht.
Zwar holen viele Frauen auf dem Land wie eh und je das Wasser aus dem Brunnen, kochen das Essen auf offenen Feuern, aber nach der Elektrizität in den 80er Jahren hat nun auch das Handy seinen Siegeszug angetreten. Ein Handy gehört heute einfach dazu und wird intensiv genutzt, beim Arbeiten, Essen, Spaziergang, Auto und Motorrad fahren, auch wenn man vor lauter Straßenlärm manchmal kaum ein Wort versteht. Vor unserem Hotel in Badami werden an einem Straßenstand Handyverträge mit Daumenabdruck unterzeichnet, und wir fragen uns, wie diese Kunden das Angebot von 300 kostenlosen SMS nutzen wollen ohne schreiben und lesen zu können.
Aber wir sind ja in Indien, und in Indien ist alles ganz anders. Wir sitzen auch nicht in einem kühlen Büro sondern in einem 30 Grad heißen Internetcafe im Untergeschoss eines alten Hauses. Direkt hinter unseren Plastikstühlen und vor einem Stapel LKW-Batterien hat sich die Chefin im Sari gerade auf den blanken Steinboden gesetzt und isst in aller Ruhe zu Mittag.
Wir sind sehr froh darüber, dass es möglich ist, selbst in abgelegenen Ecken der Welt über Internet in Kontakt zu bleiben. Nach unserem jüngsten Erlebnis wollen wir nicht auf die hiesige Post angewiesen sein.
In Mumbai haben wir 2 Postkarten gekauft und in Pune geschrieben. In Bijapur wollen wir sie auf den Weg bringen und gehen morgens zum Postamt. Nur ein Schalter ist besetzt, der allerdings keine Briefmarken verkauft: 'Wait 5 minutes' - kein Problem zu warten. Ein Mann entleert Postsäcke auf dem Boden und sortiert zusammengeschnürte Briefe, während sich die Werbeprospekte unbeachtet um ihn herum verteilen. Ein anderer formt liebevoll das Siegelwachs mit seinem Daumen zu einem kleinen Berg. Ein junger Mann in rotem Hemd schaut kurz herein, um gleich wieder zu verschwinden. Drei Angestellte sind im Schalterraum damit beschäftigt, ein Fahrrad zu reparieren. Wir warten. Der Mann am Schalter nebenan hat nichts zu tun und lässt sich auch von uns nicht beirren. Als das rote Hemd wieder vorbeihuscht, redet er auf ihn ein. Aha, er ist also unser Briefmarkenverkäufer. Wir wedeln mit unseren Karten, und so bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als uns Briefmarken zu verkaufen. Aber welche? Verzweifelt blättert er in seinem Verzeichnis. Germany? Als er schließlich intensiv die Seite mit den Preisen für Luftpostpäckchen ins Ausland studiert, bitte ich ihn darum, mir das Verzeichnis zu reichen. Postcard, international, airmail - ist schnell gefunden - 12 Rupies (20 Cent), mal sehen, ob und wie schnell die Karten ihr Ziel erreichen.
Nun wird es draußen langsam kühler, und wir wollen noch ein wenig durch diese faszinierende Ruinenlandschaft spazieren - auf den Spuren von Hanuman, dem Affengeneral aus dem Ramayana-Epos, der hier gelebt haben soll. Entsprechend viele Pilger kommen hierher. Aber auch bei Backpackern ist Hampi ein beliebtes Ziel - Indien light sozusagen mit vielen Gästehäusern und Roof-Top-Restaurants, wo man Müsli und Pancakes bekommt. Ein Ort zum Abschalten und Entspannen, wo man leicht die Zeit vergisst.
Damit uns das nicht passiert, haben wir bereits ein Zugticket hinab an die Küste nach Goa gekauft. Von dort aus wollen wir dann immer weiter nach Süden und dann hinüber nach Sri Lanka.
Von dort werden wir uns sicherlich wieder einmal mit neuen Geschichten melden.
Shanti, shanti
Renate und Stefan