Nachdem uns zehntausende Kurven durch tiefe Täler und über hohe Berge ordentlich durchgeschüttelt haben, sind wir in Gangtok endlich wieder im Netz. Zudem genießen wir in der Hauptstadt von Sikkim, die wir von Calcutta aus betrachtet wohl eher als Nest bezeichnet hätten, die Errungenschaften der Zivilisation und die erste Nacht, die wir bei angenehmen 15 Grad Zimmertemperatur nicht im Schlafsack verbringen mussten.
Von Darjeeling aus sind wir zuerst nach Tinchulay gezogen (macht euch keine Mühe, den Ort auf einer Karte zu suchen) zur 39 Personen zählenden einflussreichen Großfamilie Gurung. Im zum Gebetsraum umfunktionierten Zimmer des verstorbenen Großvaters haengen neben den Bildern der Ahnen die von Sai Baba, Krishna, einem Onkel (einem berühmten Rimpoche), und Mutter Theresa, deren Orden der Großvater ein Haus für die Waisen gespendet hat. In der kleinen Gompa etwa 500m weiter meditiert ein Mönch in völliger Zurückgezogenheit. Wie ein Schreiben am Eingang besagt, will er für 3 Jahre, 3 Monate, 3 Tage, 3 Stunden, 3 Minuten und 3 Sekunden in seiner Klause ausharren. Als wir das Dorf verlassen, hat er noch 3 Jahre vor sich.
In Soreng (in 1800 m Hoehe) in West-Sikkim, am Ende einer Stichstraße, erwartet uns Dushen, um uns ins Haus seiner Familie 300m oberhalb des Ortes zu führen. Der steile Aufstieg vermittelt uns einen kleinen Eindruck davon, was uns die nächsten Tage erwartet. Doch zuerst einmal genießen wir die Ruhe, die freundliche Familie, ihren wunderbaren Blumengarten mit Orchideen, Farnen aber auch Astern, Fuchsien, Begonien, Tagetes, Rosen und vielen anderen uns bekannten Blumen, die hier nur viel größer sind. Am kühlen Abend wärmen wir uns am Lagerfeuer vor dem Haus mit Liedern, Tänzen und Hirsebier auf.
Doch Dushen hat vor, mit uns noch weiter hinauf zu einer Hütte in 3200m Höhe zu steigen. Gottseidank haben wir für unser Gepäck 2 junge Träger, die unterwegs fröhliche Lieder trällern, während wir während des insgesamt 6-stündigen Aufstiegs in der merklich dünneren Luft immer wieder pausieren müssen. Auf halber Höhe folgen wir im dichten Nebelwald den im Schlamm deutlich sichtbaren Tatzenspuren einer Bärenfamilie. Nur wenig weiter auf einer Lichtung ist erst vor 2 Monaten Dushen von einem Nebelparder verfolgt worden, der kurz darauf eine Kuh im Dorf gerissen hat.
Die von Bambuswaeldern, riesigen Rhododendren und Silbertannen dominierte, von Moosen und Flechten überwucherte Wildnis nahe der Grenze zu Nepal ist auch die Heimat von Roten Pandas, Wölfen, Himalaya-Ziegen, Wildpferden und vielen anderen Tieren, die wir nur wenige Tage zuvor im Zoo von Darjeeling bestaunt haben.
Am folgenden Tag entdeckt Dushen oberhalb unseres Weges im Wald einen seltenen Fasan. Er schickt den jungen Sherpa hinauf, um genauer nachzusehen, kann ihn aber nur mit Mühe davon abhalten, den Vogel, der sich im Laub versteckt hat, zu töten, um ihn uns zu zeigen. Zum Abstieg bleibt nur zu sagen, dass wir nach Dentham, 'nur' 10 km entfernt, 2000 m Höhenunterschied zu bewältigen haben.
Obwohl die 2 Tage in der Hütte in Barshey im Rhododendron-Nationalpark wegen des 180 Grad-Panoramas auf die höchsten Schneeberge (und von der Ferne sogar auf den Everest), der morgens in Raureif getauchten gespenstischen Märchenwaelder und der Tiere das absolute Highlight unserer bisherigen Tour ist, findet man darüber weder im Lonely Planet noch im Rough Guide etwas darüber, so dass bisher fast nur einheimische Touristen den Weg herauf finden. Dabei würden wir Dushen (39), dem total engagierten Naturschützer und hervorragenden, sehr gebildeten Guide, mehr Gäste wünschen.
Traveller treffen wir dann wieder in Pelling, dem Backpackerzentrum im westlichen Sikkim mit einem ebenso guten Blick auf die Berge, aber ohne Wälder und mit 10 statt 4 Grad Zimmertemperatur am Morgen. Hier haben wir vor, unseren Muskelkater zu pflegen, aber nicht bedacht, dass die zahlreichen Gompas, die wir besichtigen wollen, alle auf Berggipfeln liegen. Und so machen wir uns wieder auf den Weg, hinauf zur Pemayangtse Gompa, Sangachoeling Gompa, Tashideng Gompa und Dubdi Gompa in Yuksom, dem nördlichsten Punkt unserer Reise, zu heiligen Seen, die Krankheiten heilen und Wünsche erfüllen.
Morgen werden wir im Kloster in Rumtek sein, wo Gebetstrommeln und Gebetsfahnen die Bitten der Gläubigen in den Himmel tragen. Hoch oben in den Bergen scheint man dem Überirdischen näher zu rücken. Vielleicht werden hier auch die Gebete besser erhört.
Renate und Stefan