TRAVELSTORIES – Stefan & Renate Loose unterwegs

gesammelte Briefe 2004–2024

Renate & Stefan Loose unterwegs in Indonesien (2009)

Ihr Lieben,

wieder einmal eine Rundmail von Unterwegs - dieses Mal aus einem Land mit ueber vierzehntausend Inseln - Indonesien. Nach fast 3 Wochen auf Achse haben wir einen Ruhetag eingelegt und Zeit zu schreiben, zu lesen und nachzudenken. Wie immer auf Reisen ist viel passiert. Manchmal wirkt alles wie ein grosses Theater.

 

Ich sitze gerade in Malang in Ost-Java auf der Terrasse eines alten hollaendischen Kolonialhotels und waehrend Koranlesungen aus der nahen Moschee erklingen lese ich "The Enchantress of Florence" von Salman Rushdie. (Schon eigenartig, dass ein so tiefgruendiger Schriftsteller von der Fatwa bedroht ist.) Ausnahmsweise ist es ein grosses Vergnuegen, den millionenfach vorgetragenen Koranversen zu lauschen, denn sie werden von einem hervorragenden Rezitator gesungenen und einer guten Lautsprecheranlage uebertragen. Wie ein vielfaches, verspaetetes Echo erklingen die arabischen Gesaenge von den ferneren Minaretten und verweben sich zu einem unwirklichen Klangteppich, der fuer eine Weile selbst den allgegenwaertigen Verkehrslaerm der Stadt ueberdeckt.

Der Ramadan ist fast zu Ende. In der Zeitung ist zu lesen, dass 27,25 Mill. Menschen gerade auf dem Weg zu ihren Familien sind, um mit ihnen Idul Fitri zu feiern. Fuer die hiesigen Muslime ist es von aehnlicher Bedeutung wie Weihnachten fuer uns, nur dass hier die Entfernungen und Familien groesser sind und es noch mehr Menschen zu beschenken gilt. Entsprechend sind abends nach dem Brechen des Fastens die Laeden und Strassen voll mit Menschen, die ihre letzten Einkaeufe erledigen. Die Preise steigen, Zuege sind doppelt so teuer wie sonst aber bereits seit Wochen und Busse seit Tagen ausgebucht. Mit etwas Glueck haben wir noch ein Auto fuer morgen zum Bromo organisiert, der letzten Station unserer Reise.

 

Diese begann in der Hauptstadt Jakarta, die wir bereits seit 13 Jahren nicht mehr besucht haben. Das alte Jakarta nahe am Meer ist noch mehr verfallen, und mit ihm entschwindet die hollaendische Kolonialgeschichte in die Schaukaesten der Museen. Weiter im Sueden strecken sich die Plazas und Towers aus Chrome und Glas dem Himmel entgegen, das Jakarta der Neuzeit. Dazwischen spielt sich das Leben von etwa 13 Mill Menschen ab - teils unglaublich geruhsam bis hin zur Gleichgueltigkeit (verstaerkt durch die Traegheit im Ramadan), teils betriebsam dahinfliessend, meist ueberaus hoeflich und ohne Aggressionen. Die Strassen sind sauberer geworden und die Familien kleiner (es gibt deutlich weniger Kinder als frueher). Dafuer gibt es mehr Motorraeder, die das Ueberqueren der Strasse zu einem abenteuerlichen Slalomlauf werden lassen.

 

Nach all dem Trubel finden wir Ruhe im Botanischen Garten von Bogor, der zweiten Station unserer Reise. Es ist Sonntag und im riesigen Park treffen sich Liebespaerchen auf Baenken, am See, auf Wiesen und unter hohen Baeumen, die seit ueber 150 Jahren von allen Inseln des Archipels und aus anderen tropischen Gefilden hierher gebracht worden sind und Wurzeln geschlagen haben in Hainen, Parks und Alleen - eine Art Vereinte Nationen der Baeume. Der Garten hat viele Gesichter: von wilden Waeldern mit tropischen Brettwurzel-Baeumen, Lianen und Epiphythen bis hin zu europaeisch anmutenden Gaerten mit Rehen, exotischen Kakteen neben Orchideen und Pandanushainen, Taeler mit Farnen und von Libellen umschwaermte Brunnen neben vermuellten Fluessen und Kanaelen. Fuenf Stunden sind nicht genug, den Garten zu erkunden, fuer dessen Umrundung allein wir eine Stunde benoetigen.

 

Waehrend der weiteren Fahrt nach Bandung ueber den Puncak-Pass erscheint uns Java wie ein riesiges Dorf. Beiderseits der Strasse gibt es kaum ein freies Fleckchen Erde. Hier reihen sich Verkaufsstaende mit Obst, lokalen Delikatessen und allem, was man zum Leben braucht, an kleine Essenslaeden (die aufgrund des Ramadan geschlossen sind), Reparaturwerkstaetten, die sich spezialisiert haben auf Auspuff, Reifen, Kuehler, Motoren ... und Hotels fuer Grossstadtmuede, die mit zunehmender Hoehe besser werden. Kurz vor dem Pass eine Teeplantage und dann die faszinierende javanische Landschaft mit Vulkanen und Reisterrassen wie aus dem Bilderbuch.

 

Von Bandung, dem Zentrum der sundanesischen Kultur, fahren wir weiter nach Pangandaran an der Suedkueste. Die gewaltigen Wellen des indischen Ozeans brechen an der dunklen Lavakueste und hinterlassen eine schaeumende Gischt, die etwas von der Gewalt des Tsunami erahnen laesst der hier im Juli 2006 viele Opfer gefordert hat. Wir wohnen in einem wunderschoenen Homestay in einem Zimmer mit Himmelbett und einem von Bougainvillen umgrenzten Pool. Auf Motorraedern fahren wir durch kleine Doerfer und eine herrliche Landschaft.

 

Dann Yogyakarta, das Herz der javanischen Kultur mit dem Sultanspalast und dem gigantischen Borobudur-Tempel, dem groessten buddhistischen Heiligtum aus dem 9. Jahrhundert, das noch heute von beeindruckender Magie ist. Der Ramadan hat auch seine guten Seiten, denn noch sind wenige Einheimische unterwegs, und die meisten auslaendischen Touristen kommen am Vormittag. Wir haben die Nachmittagstour gebucht und sind die letzten, die bei Sonnenuntergang von der gewaltige Pyramide herabsteigen. Einige Strassen in Yogyakarta haben sind ganz auf auslaendische Besucher eingestellt, und so geniessen wir hier den Luxus richtigen Kaffee und Salat zu bekommen.

 

Aus dem Touristenzentrum geht es dann in einem Minibus mit Einheimischen in 11 Std. nach Malang in Ost-Java, das hoechstens noch von einigen hollaendischen Gruppen besucht wird. Wir fuehlen uns sehr wohl in dieser ueberaus sauberen Stadt mit einem grossen, begruenten Park vor der Tuer mit alten Baeumen und ueberaus freundlichen Menschen.

 

In unserem Internetcafe, aus dem ich diese Mail schreibe, kehrt ploetzlich Ruhe ein - es ist wieder an der Zeit das Fasten zu beenden. Essenskarrren stehen am grossen Platz bereit wie Hundertmeterlaeufer vor dem Start. Die Holzkohlegrills senden ihre Nebelschwaden aus, Nudeln werden in riesigen Woks geschwenkt und die letzten Vorbereitungen fuer das grosse Essen getaetigt. Der Duft, der durch die Strassen zieht, laesst die letzten Minuten wie Stunden erscheinen. Dann, wenn die Sirene vom Minarett erklingt, die erloesende erste Zigarette seit Sonnenaufgang, der erste Schluck Tee und ein erstes gemeinsames Essen auf der Strasse. Die Traegheit des Tages verschwindet. Man sitzt zusammen mit der Familie oder Fremden, geniesst, lacht und feiert bis in die Nacht hinein.

 

Und so verabschieden wir uns fuer heute und melden uns wieder von einer der kleineren Inseln im Osten.

Renate und Stefan

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