Ihr Lieben,
unser kurzer (Renate) bzw. langer (Stefan) sechswöchiger Zwischenstopp in Deutschland war ausgefüllt mit vielen netten Abenden unter alten Freunden und aus unserer derzeitigen Perspektive exotischen Erfahrungen: einem Weihnachtsfest mit deutscher Gans und englischem Truthahn, Silvester-Feuerwerk überm Brandenburger Tor, Berliner beim Kölner Karneval, Spaziergänge durchs schneebedeckte Sauerland und die ersten Schneeglöckchen in Mutters Garten.
Nach all den aufregenden Tagen ist es nun an der Zeit wieder zur Routine zurückzukehren, und das heißt Hotels und Busbahnhöfe checken, den (in-)kompetenten Mitarbeitern der Fremdenverkehrsämter relevante Informationen zu entlocken und in kurzer Zeit herauszufinden, was es Neues gibt in Malaysia.
Malaysia hat mit ganzem Stolz gerade sein 50-jähriges Bestehen gefeiert und Uncle Nephew in Ipoh, der älteste Barkeeper des Landes, sein 60-jähriges Jubiläum. Tag für Tag steht er hinter dem Tresen der FMS Bar, die schon vor über hundert Jahren britischen Pflanzern als Stammkneipe diente. Nächsten Monat ist Schluss, denn der Hausbesitzer hat die Modernisierung beschlossen. Die alten Schwingtüren und der lange Holztresen werden wohl modernen Klimaanlagen, Stahl und Plastik weichen müssen. Was wohl aus Uncle Nephew wird? Heute Abend werden wir mit ihm noch ein Abschiedsbier trinken und über die alten Zeiten plaudern.
Mr. See in den Cameron Highlands ist zwar nur halb so alt, doch auch er hat realisiert, dass eine Ära zu Ende ist, und so sammelt er alles, was ihm aus der britischen Kolonialzeit in die Hände fällt. Gerade hat er einen Barbierstuhl aus dem schon lange geschlossenen Friseursalon über dem May Flower Restaurant erworben.
Auch dieses traditionelle chinesische Restaurant in einem alten Geschäftshaus wird im Mai schließen müssen, um einem Starbucks Platz zu machen. Mittlerweile ist die Sammlung von Mr. See umfangreicher als die aller Museen von Ipoh und interessanter allemal.
Nur wenig entgeht dem Modernisierungsdrang der neuen Plastikgesellschaft. Manche schicken Bars und Clubs in den Szenevierteln von Kuala Lumpur sind bereits nach zwei Jahren out und werden komplett umgebaut (sehr zum Leidwesen von Reiseführer-Autoren). Das schnelle Geld regiert zumindest einen Teil dieser Welt. Ein Buchladen in Ipoh verkauft stapelweise ein Magazin mit dem Titel "Luxusimmobilien weltweit". Darin werden Villen und Apartments vorgestellt, die selten unter einer Million Dollar zu haben sind. Während des Zinnbooms trug die Stadt den Beinamen "Stadt der Millionäre" – aber heute? Gibt es immer noch so viele Millionäre, oder sind dieses die Träume der kleinen Leute? Zumindest zum Neuen Jahr der Ratte, das kürzlich begonnen hat, wünscht man sich vor allem eines – Wohlstand!
Es gehört zur Tradition, dass Nachbarn und Freunde während der Neujahrstage zum "open house" eingeladen werden. In Kuala Lumpur wohnen wir bei unseren Freunden Doris und Manfred und haben das Vergnügen, gleich an unserem ersten Abend in Malaysia von Nachbarn mit eingeladen zu werden. Das neue Haus aus der Hand eines Stararchitekten dient der chinesischen Familie, die sich überwiegend in Australien aufhält, als Zweitwohnsitz. Im Swimmingpool spiegeln sich die Twin Towers – zwei der höchsten Gebäude der Welt und Wahrzeichen der Stadt. Davor ein üppiges Buffet, das aus einem Hotelrestaurant und nicht aus der modernen, kaum genutzten Edelstahl-Küche stammt. Am Esstisch haben locker 16 Personen Platz. Die Gäste verteilen sich auch auf den oberen Stockwerken. Dort gibt es unter anderem ein Karaoke-Zimmer mit großem Plasmabildschirm und High-End-Stereoanlage, ein gläserner Computerraum mit vier Terminals und ein Fitnesscenter mit Chill-Out-Terrasse. Und was machen all die Gäste? Sie spielen – Blackjack. Nur in der Eingangshalle zwei Stockwerke tiefer spielt eine junge Chinesin für ihren Bewunderer auf einem Flügel Chopin.
Wer einen alten Reiseführer über Südostasien im Regal stehen hat, wird sie unter den Unterkünften auf Inseln immer wieder finden: Die A-Frame-Hütte, so genannt, weil sie mit dem bis zur Erde heruntergezogenen Dach einem A ähnelt. Eine derartige Hütte ist leicht zu bauen und daher billig, hat aber aufgrund ihrer zeltartigen Form den Nachteil, dass sie weder über Fenster, Möbel noch Badezimmer verfügt und wenig Bewegungsfreiheit bietet. Da man sich in den Tropen überwiegend im Freien aufhält, hat das früher hartgesottene Globetrotter wenig gestört.
Doch bei jeder Recherche sehen wir sie schwinden, und nun hat es in Pangkor auch die letzten erwischt. Die A-Frame-Hütte gibt es nicht mehr! Vieles, was wir früher als ursprünglich angesehen haben, wirkt heute nur noch schäbig. Gefragt ist Komfort - auch am Strand, und so gibt es auf Pangkor kaum noch eine Unterkunft ohne Klimaanlage und Kabelfernsehen.
Jedes Jahr zum Vollmond Ende Februar / Anfang März kommen zehntausende Inder nach Pangkor, um der Muttergöttin in all ihren Inkarnationen im ihr geweihten größten Tempel Malaysias zu huldigen. Wie beim bekannten Thaipusam-Fest an den Batu Caves ziehen die Menschen zum Klang der Trommeln in farbenprächtigen Prozessionen über die Inselstraßen zum Heiligtum. Einige tragen Kavadi, schwere Bögen mit Bildern der Göttinnen. Andere ziehen bunt geschmückte kleine Wagen hinter sich her, die nur mit Haken an ihrer Haut befestigt sind. Männer gehen in Trance und bekommen Glöckchen, Limonen und andere schwere Gewichte in den Rücken und an die Brust gehakt, während Frauen mit gelb bemalten Gesichtern und weit herausgestreckter roter Zunge als Inkarnation der Göttinen durch die Straßen tanzen. Auch einige Zuschauer fallen in Trance.
Da wir den Nachbarstrand recherchieren wollen, fahren wir in einem Minibus mitten durch dieses bunte, eskatische Treiben. Mit uns im Bus sitzen zwei junge Frauen, die kaum einen Blick nach draußen riskieren. An der Endstation angekommen fragen sie etwas orientierungslos inmitten der feiernden Inder unseren Fahrer: "Wo geht’s denn hier zum Beach?" und verschwinden Richtung Meer.
Bevor es nun wieder in die Städte aufs Festland geht, nutzen wir unseren letzten Inseltag fürs Internet und tun später vielleicht sogar das, was alle anderen tagein tagaus machen: am Strand sitzen, lesen und aufs Meer blicken. Hoffentlich verschwindet dann auch endgültig mein (Renate) Schnupfen, der mich seit Kuala Lumpur plagt. Ansonsten geht es uns gut. Schließlich fühlen wir uns hier, im Gegensatz zu Zentralasien, wie Zuhause.
Euch wünschen wir mit den zunehmend länger werdenden Tagen auch mehr Sonnenschein und Wärme.
Renate und Stefan