Ihr Lieben,
etwas ist anders heute Morgen, es ist windstill, zum ersten Mal seit dem Beginn unserer Reise vor 6 Wochen. Der Monsun scheint endlich vorbei zu sein, vier Wochen zu spät. Gestern hat man hier in Kuantan den Geburtstag des Propheten Mohammed gefeiert. Aus allen Moscheen klangen die Gesänge bis zu unserem Zimmer im 9. Stock des Hotels hinauf. Dabei haben wir daran gedacht, dass in Deutschland gerade Gründonnerstag ist. Heute hat hier wieder ein ganz normaler Arbeitstag begonnen, für die meisten Malaysier zumindest.
Nur die größeren christlichen Gemeinden in Melaka und Penang, auf der anderen Seite der Halbinsel, werden den heutigen Karfreitag begehen. Auch Rajan Jones wird heute nicht in den Dschungel gehen. Ihn haben wir gestern am Tasek Chini, einem großen natürlichen Seengebiet im Landesinneren, getroffen. Er ist Inder und Christ. Mit einer einheimischen Orang Asli-Frau verheiratet, lebt er seit über zwanzig Jahren in ihrem Dorf unter einfachen Bedingungen und ohne Elektrizität. Das einzige, was er sich gönnt, ist ein uralter, verrosteter Proton, der einer der ersten in Malaysia produzierten Wagen sein muss. Er hat zehn Zimmer mit Matratzen ausgestattet, auf denen Gäste für 6 Euro übernachten können – Frühstück und Abendessen inklusive! Tagsüber geht er mit ihnen in den Dschungel und zeigt ihnen die wirkliche Welt. Er befürchtet, dass vor allem die jungen Leute sonst die künstlichen Computerwelten für die Realtität halten könnten.
Leider lässt sich die Realität nicht so leicht manipulieren wie die Computer. Und so berichtet er uns, dass das einmalige Seengebiet unter den menschlichen Eingriffen schwer gelitten hat, die Verlandung zunimmt, immer mehr Arten verschwinden, und selbst die Lotusblumen, für die der Tasik Chini berühmt war, nicht mehr blühen.
Auch die größten Meeresschildkröten, die Lederschildkröten, die wir Anfang der 80er Jahre noch bei der Eiablage am Strand von Rantau Abang beobachten konnten, sind seit 2004 nicht mehr gesichtet worden und wahrscheinlich in dieser Gegend der Welt ausgestorben. Nun versucht man zumindestens die Suppenschildkröten zu schützen und hat am Strand von Rantau Abang und Chendor eine Schildkrötenstation errichtet. In Chendor informiert eine Ausstellung über das Leben der Schildkröten und anderer Meeresbewohner, und in einem Becken konnten wir einige der ersten in diesem Jahr geschlüpften Baby-Schildkröten füttern.
Der Chef erzählt uns, dass sie im vergangenen Jahr wieder mehr Eiablagen registriert haben. Aber das Schutzgebiet umfasst nur ganze 3,5 km eines tausend Kilometer langen Strandes. Im zweiten Zentrum in Rantau Abang haben wir niemanden angetroffen, auch keine Touristen, denn mit dem Ausbleiben der Lederschildkröten hat dieser Küstenabschnitt seine größte Touristenattraktion verloren.
Dafür füllen Schulklassen die billigen Bungalowanlagen und hinterlassen an den Stränden beim Picknicken eine Unmenge an Müll. Die Resorts sind ebenfalls gut ausgelastet mit Tagungsteilnehmern. Vor allem während der Schulferien scheinen Tagungen sehr angesagt zu sein. Hinzu kommt, dass es nach den Wahlen in Malaysia mit einem für die Regierung unerwarteten Ausgang viel Klärungsbedarf gibt – ein Supergau.
Und so sitzen wir eines Morgens inmitten der Großfamilien beim Frühstücken im Restaurant und beobachten die Feuerwehrgruppe beim Joggen um den Pool. Während der Wochen vor der Wahl sind die Zeitungen mit regierungsfreundlichen Berichten immer dicker und die Straßen immer mehr mit Fahnen vollgehängt worden, bis die Verkehrszeichen kaum noch zu erkennen sind. Nun ist alles wieder in den Normalzustand zurückgekehrt, und auch die erste Aufregung darüber verflogen, dass die Barisan Nasional ihre absolute Mehrheit eingebüßt und 4 Staaten an die Opposition verloren hat.
Apropos Pool: Die malaiischen Mädels lassen sich von ihrem Schleier keineswegs das Baden verleiden und springen mit Jogginghose und T-Shirt bekleidet samt Schleier in den Pool. Selbst bei Schnorchelausflügen auf der Insel Redang sind sie mit dabei, wobei diese während der Schulferien nicht unbedingt nach unserem Geschmack sind. Die Fischerboote, die zweimal täglich zu den Korallenriffen hinausfahren, sind vollgepackt wie Flüchtlingsschiffe. Alle wollen schnorcheln gehen, denn das ist im gebuchten Paket inbegriffen. Die Hälfte kann nicht einmal schwimmen, deshalb hat man allen das Tragen von Schwimmwesten verordnet und das Benutzen von Flossen verboten. So plantschen dann hunderte orange leuchtender Menschen über den Riffen und bestaunen sich gegenseitig.
Viele waren noch nie zuvor auf einer Insel und sind begeistert von der Unterwasserwelt. Weniger begeistert sind sie allerdings von der Überfahrt in den Schnellbooten bei hohem Wellengang. Die ersten fünf Minuten begleitet jede Welle das fröhliche Geschrei der Kinder, dann wird es immer stiller, bis die Ersten ihr Gesicht in Plastiktüten stecken. Da aufgrund der hohen Wellen kein Fenster geöffnet werden kann und wir bereits vom Spritzwasser, das durch die Ritzen dringt, halb durchnässt sind, verbreitet sich bald der bekannte Geruch, der auch vielen anderen Schweissperlen auf die Stirn treibt. Aus diesem Grund sind wir froh, dass wir nun die Küste mit ihren Inseln erst einmal verlassen können. Trotz der stürmischen Überfahrten hat es erstaunlich wenig geregnet.
Entlang der Ostküste haben wir in den vergangenen Wochen einige Plätzchen entdeckt, an denen es sich gut aushalten lässt und an die wir gern zurückkehren möchten, ohne recherchieren zu müssen – nur zum Ausruhen, Bücher lesen und Löcher in die Luft gucken. Vielleicht stelle ich euch mal am Ende dieser Reise unsere Top Ten zusammen.
Während in Kuala Lumpur das Formel-1-Fieber wütet und ich mehrmals vergeblich versucht habe, euch diese Mail zu schicken, haben wir uns in den Taman Negara, den 130 Millionen Jahre alten Regenwald, begeben und genießen die Ruhe.
Euch wünschen wir ein schönes Osterfest und vielleicht auch etwas Sonnenschein beim Ostereier suchen.
Renate und Stefan