Ihr Lieben,
wenn die Tage länger und wärmer werden, kehren nicht nur die Zugvögel nach Europa zurück. Auch wir bereiten uns auf die Rückreise vor. Zuvor haben wir mit Singapore und Ost-Malaysia allerdings noch einen großen Brocken Arbeit hinter uns gebracht, so dass uns nur wenig Zeit zum Schreiben privater Mails geblieben ist.
Die letzte Route unserer Malaysia-Reise ist für uns von besonderer Bedeutung, weil wir vor genau 30 Jahren unsere erste gemeinsame Reise mit der ersten Auflage des Südostasien Handbuchs von Singapore nach Ost-Malaysia gemacht haben. So werden wieder viele Erinnerungen geweckt, und wir erwischen uns dabei, wie wir auf Spurensuche gehen.
Wir feiern Wiedersehen mit unseren chinesischen Freunden in Singapore. Unsere Kinder kennen sich von klein an und besuchen sich gegenseitig. Sie sind mittlerweile im gleichen Alter wie wir, als wir ihre Eltern kennenlernten.
Im Kuching Bazar in einem der alten Geschäftshäuser praktiziert immer noch der Arzt Voon Pok Feng, der uns damals nach Simanggang (heute: Sri Amman) mitgenommen hat. Wir erzählen ihm, dass wir gerade von einer Langhaus-Tour zurückgekehrt sind. Damals hat er es uns ermöglicht, dass wir im Boot eines Mediziners mitfahren konnten, der die Langhäuser im Landesinneren auf Malaria überprüfte.
Vieles hat sich in dieser Zeit in dieser dynamischen Gegend der Welt verändert. Das Reisen ist leichter geworden. Nur noch wenige Iban im Landesinneren von Borneo sind auf Boote angewiesen. Dem Motto von Air Asia: "Now everyone can fly" folgend, reisen nun auch Chinesen aus Macao für ein langes Wochenende nach Kota Kinabalu. Generell ist der Lebensstandard gestiegen. Unübersehbar sind aber auch die negativen Seiten: Die Abholzung der Regenwälder und die Folgen der Umweltbelastung ebenso wie das Verschwinden traditionellen Wissens alter Kulturen und überlieferter Wertesysteme.
Die Stadt, die sich am meisten verändert hat, ist - kaum jemanden wird es überraschen - Singapore. Dieser Stadtstaat, kaum größer als Berlin, ist ständig damit beschäftigt sich zu modernisieren und hat damit uns Europäer schon lange überholt. Einer unserer Freunde arbeitet bei der Stadtplanungsbehörde und fährt uns herum, zeigt uns neue futuristische Fußgängerbrücken und gewagte architektonische Bauwerke.
En Vouge sind Glas und Edelstahl, grauer Granit und dezente asiatische Elemente im minimalistischen Zen-Stil. Aber auch die alten Geschäfts- und Lagerhäuser in der Innenstadt sind begehrter als je zuvor und sind aufwändig zu edlen Boutiquen, Clubs, Bars und Restaurants umgestaltet worden. Hier trifft sich die Szene - junge Leute, die international orientiert und im Wohlstand aufgewachsen sind.
Vom höchsten Riesenrad der Welt blicken wir auf eine gewaltige Baustelle: Hier entstehen gleichzeitig eine Formel 1-Rennstrecke, ein schwimmendes Stadion und in mehreren Hochhäusern, die über einen riesigen Dachgarten miteinander verbunden sind, ein integriertes Resort mit Casino.
Im ebenfalls neu gestalteten historischen Museum kommen dank neuester Technik Zeitzeugen zu Wort und führt überaus spannend vor Augen, welche gewaltige Entwicklung der Stadtstaat genommen hat. Die aktuelle Stadtentwicklung und -planung wird im Museum der Stadtplanungsbehörde sehr unterhaltsam dargestellt. Allein in diesen beiden Museen könnten wir locker einen ganzen Tag verbringen, und wir müssen uns zwingen, die angenehm klimatisierten Häuser wieder zu verlassen und weiter zu recherchieren. Draußen ist es nicht nur heiss, sondern auch extrem feucht. Wir schwitzen mehr als je zuvor und müssen uns am Ende der achttägigen Recherche mit Elektrolyten wieder aufpeppeln.
Und was sich am wenigsten verändert hat ist nicht so leicht zu finden. Selbst viele Langhäuser, in denen wir vor 30 Jahren die ersten Europäer waren, und über die wir, um sie zu schützen, nie geschrieben haben, gibt es nicht mehr. Einige hat der Batang Ai-Stausee überflutet, andere sind abgebrannt oder abgerissen worden.
Neue Langhäuser werden aus Stein in der Nähe der Straßen erbaut, die immer weiter ins Landesinnere vordringen.
Einige Iban in den verbliebenen traditionellen Langhäusern leben vom Tourismus.
Die meisten beherbergen allerdings in ihren angrenzenden Gästehäusern mehr Touristen als sie Einwohner haben, und die Kurzbesuche der Reisegruppen im Langhaus haben einen schalen Beigeschmack.
Deshalb interessiert uns ein anderes Konzept, bei dem Reiseveranstalter ein Langhaus adoptieren und ausschließlich mit ihren Gruppen besuchen. Unser Lieblings-Langhaus ist leider dem vorletzten Wahlkampf zum Opfer gefallen. Ein Politiker versprach ein neues Haus, wenn er gewählt würde. Er wurde gewählt, das neue Haus gebaut, und nun wundert man sich, dass die Touristen ausbleiben.
Auch das zweite Langhaus ist mittlerweile dank verschiedener TV-Produktionen (u.a. Survivor) zu Geld gekommen, so dass man es sich leisten kann, den Generator laufen zu lassen. Statt auf der Verandah Matten zu flechten, sitzt man nun vor dem Fernseher und amüsiert sich über Tom & Jerry. Im dritten Langhaus ist es allerdings immer noch so, wie wir es von unseren früheren Reisen kennen. Wir schlafen nur etwas bequemer auf Matratzen unter Moskitonetzen auf der Gemeinschaftsverandah im Langhaus. Die Gruppe ist klein, und nachdem das Touristenprogramm mit Tänzen, Tuak trinken und dem überreichen von Gastgeschenken absolviert ist, kehrt man ungeachtet der herumsitzenden Touristen zum Alltag zurück. Am zweiten Tag sind wir die einzigen Gäste und fahren weiter den Fluss hinauf zu einem Dschungel-Picknick. Hier, in den Oberläufen, sind die Flüsse klar, und unser enthusiastischer Fischer packt noch einen frisch gefangenen Fisch auf den Grill. Wunderbar!
Während unseres Langhaus-Hüpfens beobachten wir eines Morgens am oberen Batang Ai ein eigenartiges Phänomen: In einem endlosen Band fliegen Abermillionen Termiten den Fluss hinauf, so weit, bis sie vor Erschöpfung sterben, ins Wasser fallen und vom Fluss wieder hinabgetragen werden - während über ihnen ihre lebenden Artgenossen ihrem Tod entgegenfliegen. Es ist ein Fest für Fische und Vögel, die sich am Nahrungsüberfluss laben. Eigentlich ist es kein schlechter Tod, denken wir uns, so in Gesellschaft, nach dem Motto: Travel till you drop!
Doch zuvor werden wir hoffentlich noch einige weitere Reisen flussaufwärts machen. Gerade in diesen Tagen denken wir gern an unsere Reise vor zwei Jahren zurück, als wir am Kinabatangan die Überraschungsparty zu Stefans 60. Geburtstag gefeiert haben. In diesem Jahr haben wir uns ein anderes Ziel zu Stefans Geburtstag ausgesucht, wo wir ganz sicher nur zu Zweit feiern werden.
Dann ist es Zeit zurückzukehren, um die während der letzten drei Monate gesammelten Informationen am Schreibtisch für das neue Malaysia-Buch aufzubereiten. Zudem haben wir schon wieder Pläne für eine neue Reise - weiter flussaufwärts.
Bis dahin verabschieden sich
Renate und Stefan Loose