TRAVELSTORIES – Stefan & Renate Loose unterwegs

gesammelte Briefe 2004–2024

10.10. - Tajikistan

Ihr Lieben,

Mit einigen Problemen und großer Erleichterung haben wir Tajikistan verlassen und den bislang aufregendsten Grenzübergang hinter uns gebracht. Von Uzbekistan aus war die Einreise völlig unproblematisch. Der Grenzbeamte in einem winzigen Zimmer lässt sich vom russischen Musikkanal unterhalten, in dem singende Bikinischönheiten aufreizend vor der Kamera ihre Hüften schwingen. Ein Kollege kommt hinzu, der seine Deutschkenntnisse aus der Schule anwenden möchte. Ein anderer ist in Potsdam bei der Roten Armee gewesen – und er ist nicht der erste den wir treffen. Man ist gut informiert, kennt Frau Merkel, weiss, dass Gorbachow ein Freund Deutschlands war und mag ihm nicht verzeihen, dass er den Verfall der Sowjetunion herbeigeführt hat.

Viele Menschen, die wir treffen, trauern der alten Zeit hinterher, als sie noch Teil eines Weltreichs waren. Was sind sie nun? Unbedeutende Staaten, die zu den ärmsten der Welt gehören – vor allem Tajikistan, das nach einem Bürgerkrieg in den 90er Jahren 50-100 000 Tote zu beklagen hat. Man beklagt sich über Korruption, Vetternwirtschaft, sanktionierte Kriminalität und staatliche Willkür – wie wir erfahren müssen zu Recht.

 

Dushanbe

Nach all den Wüstenstädten präsentiert sich die Hauptstadt Tajikistans auf den ersten Blick als positive Überraschung. In 800 m Höhe gedeihen im milden Klima Kiefern und Kastanien ebenso wie Bananenstauden. Auf der Rudaki, einer von Regierungsgebäuden, Theatern und Geschäften gesäumten repräsentativen Allee, sind mehr Mercedes-Limousinen als in Deutschland unterwegs. Einige sind so gut wie neu. Zu ihnen gesellen sich schwere Geländewagen mit roten Diplomatennummernschildern und Aufklebern internationaler Organisationen - von der GTZ und Welthungerhilfe bis zur UNESCO. Auch Militär aus Russland, den USA und Frankreich ist hier stationiert. In Straßencafés lässt man es sich bei einem importierten Baltika-Bier aus St.Petersburg gut gehen. Die Cola kommt aus Kabul. In internationalen Restaurants wickeln Einheimische gut sitzenden Maßanzügen diskret ihre Geschäfte ab.

Bereits in den Seitenstraßen wandelt sich das Gesicht. Hier stehen einfache, einstöckige Häuschen und verfallende Plattenbauten. Auch Bettler, Krüppel und Straßenkinder sind nicht zu übersehen. In keinem anderen Land, das wir in den vergangenen Wochen besucht haben, sind die sozialen Kontraste so augenfällig. Haben noch vor wenigen Jahren religiöse Auseinandersetzungen das Land gespalten, so tut dieses nun das Geld. Allzuleicht lässt sich hier viel Geld verdienen, denn Afghanistan ist nahe und die Grenze in den Bergen kaum zu kontrollieren. Wer will, kann in der Wikipedia nachlesen, dass ein Großteils des Drogenhandels über Tajikistan abgewickelt wird. Kostet das Kilogramm Heroin an der Grenze noch 800$, sind es in Dushanbe bereits 2000$ - kein schlechter Verdienst für eine kurze Tour.

 

Tourismus in Tajikistan

Wir besuchen Valeriya, die wir von der Fachhochschule in Eberswalde kennen, und die nun versucht, das, was sie in ihrem Tourismusstudium in Deutschland gelernt hat, umzusetzen. Aber es ist nicht leicht, etwas Substanzielles aufzubauen. Im Jahr 2006 sind nur 3200 Touristenvisa ausgestellt worden, davon haben etwa 600 Murghab, den touristischen Hauptorte im Pamir besucht, den Stefan „my favourite Gulag“ nennt.

Neben den miserablen Straßen und der schlechten Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie mit Benzin tut die Bürokratie ein Übriges, Touristen davon abzuhalten, Tajikistan zu besuchen. Außer dem Visum für 50$ braucht man für den Pamir eine Sondergenehmigung für die autonome Republik Badagshan mit genauer Routenangabe für weitere 50$ (nur in Berlin kostenlos!) und muss sich spätestens 3 Tage nach der Einreise bei den Behörden anmelden, wofür einem im günstigsten Fall weitere 30$ abgeknüpft werden.

Unser Hotel im sowjetischen Stil mit Aufpasserin auf dem Flur, klumpiger Matratze und launischer Dusche verlassen wir nach 2 Nächten und genießen den Luxus eines neueren westlichen Hotels und der letzten Toilette mit Wasserspülung für die nächsten 10 Tage. Das Museum of National Antiques entpuppt sich als wahre Schatzkammer gefüllt mit Relikten einer jahrtausendealten Menschheitsgeschichte, darunter ein 15 m langer liegender Buddha aus dem 7.-8. Jahrhundert.

 

Entlang der afghanischen Grenze

Es war die beste Entscheidung, eine Tour durch den Pamir über David Berghoff von Stantours in Almaty zu buchen, der von vielen Travellern im Internet hoch gelobt wird. Ohne unseren Fahrer, Übersetzer und Guide Dilshod Karimov hätten wir in dieser Zeit nur die Hälfte sehen und weit weniger erfahren können. (Mit Dishod kann man auch Klettern, Bergsteigen und im Winter sogar Ski fahren. Er ist zu erreichen über Azimuth Travel, azimuth_travel(at)tajik.net.)

In einem 10 Jahre alten robusten Lada Niva, einem kleinen russischen Geländewagen, geht es am ersten Tag Richtung Osten über den 3252 m hohen Khaburabat Pass bis Kalaikhumb. Der kleine Ort liegt am Panj, einem Zufluss des Amu Darya, der hier die Grenze zu Afghanistan bildet, und dem wir die nächsten Tage von 1400 m bis auf 2900 m Höhe folgen werden. Eine Legion Alexanders des Großen soll 3 Jahre im Panj-Tal verbracht haben und hat augenscheinlich diese Zeit gut genutzt, griechische Gene zu verbreiten.

Am Straßenrand warnen Schilder vor Minen, wir zählen 6 schrottreife russischePanzer aus dem Bürgerkrieg. Ein gigantisches Staudammprojekt, das in den 80er Jahren begonnen wurde, verrottet, seit die Russen nach dem Auseinanderfallen der Sowjetunion ihre Koffer gepackt haben - samt Zementwerk und gewaltigem Maschinenpark.

Wir fahren auf schmalen, nur teilweise asphaltierten Straßen durch tiefe Schluchten und über weite Schwemmlandebenen, in denen der raue Wind gewaltige Dünen auftürmt und bis über die Straße weht. Auf steilen Felsen erheben sich die Ruinen über tausend Jahre alter buddhistischer Tempel, Befestigungsanlagen und Karawansereien aus der Blütezeit der Seidenstraße. Vor uns sind in der Ferne die schneebedeckten Gipfel von Peak Karl Marx und Friedrich Engels zu sehen.

In Afghanistan, jenseits des Flusses, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Vor der majestätischen Bergkulisse des Hindukush ziehen ab und an Karawanen mit Eseln, Pferden und Kamelen auf ausgetretenen Pfaden am Fluss entlang, Fußgänger bahnen sich einen Weg über rauschende Bergbäche und und kraxeln auf schwindelerregenden Pfaden steile Felswände hinauf. Trotz der allgemeinen Armut gibt es in den Dörfern einige stattliche Anwesen, auf deren Dächern Satellitenschüsseln prangen.

Es ist nicht schwer, den Grenzfluss zu überwinden. An vier Kontrollpunkten muss Dilshod nur unsere Pässe ins Büro bringen. Wir und das Auto werden nicht ein einziges Mal kontrolliert – nicht einmal an der Grenze.

 

Erntezeit

Auf den Feldern sind alle Familienmitglieder mit dem Einbringen der Weizen- und Kartoffelernte beschäftigt – alle Hände werden gebraucht, denn Maschinen sind rar, und schon bald wird der erste Schnee fallen.

In Yamg übernachten wir bei Haidar in einem traditionellen Pamir-Haus. Abends in der Küche, neben dem wärmenden Herdfeuer bei einem Teller Buchweizengrütze und Kohl mit frisch gebackenem Brot und Wodka aus unseren eigenen Beständen, kommen wir ins Gespräch. Er ist Schulleiter der örtlichen Schule mit 200 Kindern und 38 Lehrern. Jeder Lehrer bekommt einen Job, auch wenn sich zwei eine Stelle teilen müssen. Haidar und seine Frau leben mit ihren Enkelkindern im Dorf. Zwei Söhnen begegnen wir am nächsten Tag. Sie sind mit der Schaf- und Ziegenherde auf dem 80 km langen Rückweg von den Sommerweiden im Pamir-Hochland. Seine Töchter und ein weiterer Sohn arbeiten in Russland. Die Familie hat auch einige Felder. Die Weizenernte reicht ihnen aber nur für 7 Monate. Für einen Sack Mehl muss er mittlerweile zwei Monatsgehälter aufbringen.

Zu sowjetischen Zeiten wurden Grundnahrungsmittel subventioniert. Heute müssen sie hier in den Dörfern zu Weltmarktpreisen mit einem erheblichen Aufschlag für den Transport eingekauft werden. Die schlechten Straßen tun ein übriges, das Leben in den Tälern zu erschweren. Benzin, falls vorhanden, wird aus Eimern und Kübeln in den Tank gefüllt. Es ist häufig gepanscht und von schlechter Qualität, so dass auch Dilshod einige Probleme mit seinem geliebten Lada hat.

 

Im Hochland des Pamir

In Langar verlassen wir die Wakham-Range, die vom Pamir- und Wakham-Fluss begrenzt wird, die nach dem Zusammenfluss den Panj bilden. Dieser schmale Korridor trennt seit über hundert Jahren Pakistan und Tajikistan und damit die Interessengebiete der Engländer und Russen. 1896 hatten sich die beiden Kolonialmächte zusammengesetzt und die Grenzen bestimmt und damit das von Kipling genannte „Great Game“ des 19. Jahrhunderts beendet.

Schon bald haben wir die Baumgrenze hinter uns gelassen und erreichen das kahle, windgepeitschte Hochland mit türkisblauen Bergseen und Bergen in allen nur denkbaren Farben und Formen. Es herrscht eine unwirkliche Stille. Die Murmeltiere liegen bereits im Winterschlaf, und die Hirten sind mit ihren Herden in die Täler zurückgekehrt. Den ganzen Tag über begegnen uns nur 2 Autos. Die erste Nacht verbringen wir in Bulungkul, einer tristen Ansiedlung südlich des Yashil-Kul-Sees auf 3800 m Höhe. Der Himmel ist wolkenlos, und es ist so kalt, dass nachts das Wasser in unseren Flaschen, die im Auto geblieben sind, komplett friert. 1976 wurde hier mit –64 Grad der absolute Kälterekord für Zentralasien gemessen. Das Plumpsklo ist 30 m von unserem Haus entfernt, und es bedarf einiger Überwindung, diesen Weg in der Nacht in Angriff zu nehmen. Als einmalige Belohnung erwartet uns draußen aber ein ungetrüber Blick auf einen Sternenhimmel von unglaublicher Tiefe. Das silberne Band der Milchstraße scheint zum Greifen nahe, so dass wir trotz Frösteln inne halten und staunend den Himmel betrachten.

Die nächste Station ist Murghab auf 3555 m Höhe, das wenig inspirierende Verwaltungs- und Touristenzentrum im Pamir. Das interessanteste im Ort ist der Markt, der in einer Reihe von Containern untergebracht ist. An einem Ende gibt es ein Cafe, dessen Angebot sich auf Eier, Yaksuppe, Wodka und Bier begrenzt, am anderen Ende zwei Jurten, in denen Milch und Fleisch verkauft wird. Da wir mit unserem Visum für Kirgisien erst ab dem 5.10. einreisen können, nutzen wir den letzten Tag für einen netten Ausflug zu einer heißen Quelle in einem schmalen Tal, wo wir unsere Wäsche waschen und im weit über 40 Grad heißen Wasser den Staub der letzten Tage entfernen.

 

Putin shoot Marco Polo

Die dreizehnstündige Tour nach Osh (Kirgistan) geht anfangs an der chinesischen Grenze entlang und vorbei am riesigen Karakul-See, mit 3923 m Höhe der höchste See Zentral-Asiens, der von schneebedeckten Bergen überragt wird, darunter dem 7134 m hohen Peak Lenin.

In einer kleinen Chaikhana nehmen wir noch einen heißen Tee zu uns, bevor wir die letzten 50 km zur Grenze auf dem Pass in Angriff nehmen. Der Raum ist gut gefüllt mit Männern jeglichen Alters, es herrscht eine bedrückte Stimmung. Als wir uns erheben, um zu gehen, fragt einer der Männer Dilshod etwas auf Kirgisisch, er antwortet, ein kurzer Dialog -  Dilshod erstarrt. Es gibt ein Problem: Die Grenze ist geschlossen. Die Lastwagenfahrer warten bereits seit gestern morgen hier und wissen nur, dass sie noch einige Tage warten müssen.

Vielleicht machen sie eine Ausnahme für Touristen, vielleicht kann man mit etwas Geld nachhelfen … Wenn nicht, haben wir ein Problem: Dishod muss spätestens morgen zurück nach Dushanbe. Der Weg über Kirgisien ist mit 500 km nur halb so lang wie der durch Tajikistan, für den er mindestens 3 Tage braucht. So fahren wir zur Grenze, finden dort aber nur ein Auto und einige fröstelnde junge Soldaten vor, die den Auftrag haben, die Grenze zu bewachen. Dilshod erfährt, dass aus Sicherheitsgründen während der GUS-Konferenz in Dushanbe alle Grenzen bis zum 7.10. um 20 Uhr geschlossen sind. Der PKW gehört einem Offizier aus Kirgisien, der bereits seit 4 Stunden versucht, einen Befehlshabenden zu erreichen, um über die Grenze zu kommen, die seit gestern morgen kein Fahrzeug passiert hat. Keine Chance.

Wir kehren zurück nach Karakul und haben nun ein anderes Problem: nicht genügend Benzin, um nach Murghab zurückzukehren. In Karakul gibt es zwar auch 2 Gästehäuser, aber gegen diesen Ort erscheint uns Murghab mit unserem Gästehaus, das abends beheizt wird, geradezu als Paradies. Dilshod besucht zuerst einen Freund, der mit ihm zu einem Freund fährt, der vielleicht Benzin hat, der schickt ihn weiter, und so geht es von A nach B nach C nach D. Am Ende finden sie eine Frau, die weiss, wo es Benzin gibt, aber dafür von uns nach Murghab mitgenommen werden will. Das ist ok, und so schickt sie einen Jungen los mit einem Brief, ein alter Mann erscheint, der aus einem LKW-Tank ausreichend Benzin (!) für uns abfüllt, und so geht es zurück.

 

Von der gesprächigen einheimischen Geschäftsfrau erfahren wir (top secret), dass die Präsidenten der GUS-Staaten in den Pamir geflogen worden sind zur Jagd auf die unter Naturschutz stehenden Marco Polo Schafe. Zudem zeigt sie uns die Ebene, in der sie häufig Wölfe sieht und das geheime Uran-Bergwerk, in dem nach dem 2. Weltkrieg 500 deutsche Kriegsgefangene erschossen worden sind. Als wir zum Sonnenuntergang in der Ferne umgeben von feuerrot leuchtenden Bergen schließlich die Häuser von Murghab erblicken, seufzt Stefan: „my favourite Gulag“.

 

Zwangspause

Den zwei Tagen Zwangspause, die wir gemeinsam mit einem Paar aus England in Murghab verbringen, habt ihr unter anderem diesen langen Brief zu verdanken. Allerdings kann ich ihn erst aus Osh losschicken, denn auch das Internet ist aus Sicherheitsgründen bis zum 10.10. gesperrt. So erleben wir hautnah die Willkür in dieser rechtlosen Gesellschaft und schätzen umso mehr unseren Rechtsstaat, dessen Probleme von hier aus gesehen, eine völlig andere Dimension annehmen. Trotz der harrschen Umgebung und kalten Temperaturen beginnen sich unsere Körper zu erholen. Neben der Anpassung an die Höhe scheint sich unser unruhiger Magen langsam mit dem einheimischen Essen anzufreunden, dessen einzigen positivenen Eigenschaften sind, dass es wärmt und satt macht. Wir wir von anderen Travellern erfahren, bekommt jeder zur Zentralasien-Tour ein Magenproblem kostenlos dazu.

Nun haben wir endlich die Grenze hinter uns gelassen und könnten allein über die gestrige Tour eine weitere Seite füllen: über den uralten russischen Minibus, der vor der Grenze ein neues kirgisisches Nummernschild bekommt, über den Schäfer und andere Leute, die wir ein Stück mitnehmen, über die vereisten Berge und tajikischen Grenzsoldaten, die uns zum Aufwärmen in ihrem elenden Quartier Tee anbieten, die lächerlichen Grenzkontrollen (bei der Kälte geht keiner freiwillig vor die Tür seiner Barracke) und die Bestechungsgeschenke (von Hammelfleisch bis Zigaretten). Wir sind gespannt, was uns die nächsten Tage in Kirgisien erwartet und genießen erst einmal die Wärme und die sich herbstlich verfärbenden Laubbäume.

 

Euch wünschen wir einen sonnigen Herbst.

Aus Osh grüßen

Renate und Stefan

 

 

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