Ihr Lieben,
als wir in Sari-Tash, dem ersten Ort in Kirgistan, Richtung Pamir zurückblicken, ist uns schleierhaft, wie und wo wir gerade diese massiv erscheinende Mauer aus Schnee und Eis durchquert haben. Vor uns erstreckt sich eine weite Ebene, auf der Pferde und Kühe weiden. Die Straßen säumen Bäume, deren goldenes Herbstlaub in der Abendsonne leuchtet, so dass wir das Gefühl haben, endlich wieder aufzutauen.
Aber bis Osh ist noch einmal ein Pass auf einer sehr schlechten Straße zu überwinden, so dass wir erst nach 22 Uhr endlich in das Taj Mahal, ein 5-Zimmer-„Hotel“ über einer Bank (mit Geldautomat!) und neben dem Büro der Sozialdemokratischen Partei, der Nachfolgerin der KirgKP, einziehen. Am nächsten Morgen funktioniert sogar die warme Dusche - ein willkommener Luxus.
Im Zentrum von Osh erhebt sich ein markanter Felsen, von dem aus bereits König Salomon gepredigt haben soll. Zu seinen Füßen wird auch heute noch in der großen Universität gelehrt. Die modisch gekleideten Studenten, die uns als willkommene Gelegenheit sehen, ihr Englisch zu praktizieren, geben der Stadt im konservativ-muslimischen Fergana-Tal ein vielfältiges Gepräge. Allerdings tragen weit mehr Frauen Röcke und hohe Stiefel als den Schleier. Die meisten Musliminnen bedecken ihre Haare mit einem Kopftuch, das wie in meiner Kindheit hinten gebunden wird. Allerdings kombiniert man es hier nicht wie in Uzbekistan und Tajikistan mit Pantoffeln, langen Nachthemden im zeitlosen Blümchenmuster und Morgenmäntel, die unwillkürlich an Krankenhausflure erinnern.
Auf dem riesigen, gut organisierten Markt gibt es bergeweise Erdnüsse, Walnüsse, getrocknete Aprikosen, Rosinen, Bonbons, frisches Obst und Brot, von dem wir in Murghab nur träumen konnten. Es ist eine Freude, selbst über den sauberen Fleischmarkt zu bummeln.
Der Lonely Planet-Autor empfiehlt das Essen im Rich Man Café. Da wir uns nach einem guten Essen sehnen, pilgern wir quer durch die Stadt. Doch welch eine Enttäuschung: Fisch, auf den wir uns gefreut haben, gibt es nicht, das Kartoffelpüree kommt erst nach dem fast nur aus Fett bestehenden Fleisch, die Soße ist Ketchup, das Brot schmeckt nach Schimmel, und der Service ist qualvoll langsam. Pech gehabt – allen schon der Name hätte uns Warnung sein sollen.
Da es keine Straßenbeleuchtung gibt, wissen wir nun auch, warum die chinesischen Feuerzeuge mit eingebauter Taschenlampe hier der Hit sind.
Im Internet surft unser einheimischer Nachbar auf einer deutschen Website für Gebrauchtwagen. Es scheint, dass ganz Kirgistan seine Fahrzeuge aus Deutschland über die baltischen Republiken importiert. So fährt ein schwarzer Golf mit der Aufschrift „Schürzenjägerfanclub Würzburg“ nun durch Naryn (unserem letzten Ort vor China), ein Jägermeister-Bus duch Balykchy am Issyk-Köl-See, ein Trolleybus „München Hauptbahnhof“ durch Bishkek und ein weinroter Mercedes mit einem Nummernschild aus dem Hochsauerlandkreis durch Osh.
Fast der gesamte öffentliche Nahverkehr in Osh wird bevorzugt mit umgebauten Mercedes 308D-Bussen abgewickelt. Und so drängen sich die Kirgisen in die Busse vom „Klimatechnik-Service Rickenbach“, „Full Service für den Lackierer“, von „Heekenes Pflasterarbeiten“, den „Landshuter Werkstätten“ oder dem „Küchenprofi von Rhanderfen“. Selbst Tanksäulen werden aus Deutschland nach Krigistan verfrachtet, die noch DM anzeigen oder mit Aufklebern versehen sind, wie: „Je Euro 73 Cent Steuern“.
Unsere Flüge in einer AN 24 von Avia Traffic nach Bishkek über die Schneeberge der Fergana Range kostet uns 70 Euro, da Stefan 25% Rentnerrabatt erhält, plus 1,80 Euro für 4 kg Übergepäck (es sind nur 15 kg inkl. Handgepäck erlaubt). Nach unserer Ankunft am Flugplatz, auf dem 5 große amerikanische Militärmaschinen geparkt sind, bedrängen uns legale wie illegale Taxifahrer und der Manager eines Limousine Service. Als er uns am Ausgang den gleichen Preis wie die Taxifahrer anbietet, schlagen wir zu und fahren stilvoll in einem Mercedes (ein ganz neues Fahrgefühl) im billigsten Gästehaus der Stadt vor.
Leider sind alle Zimmer ausgebucht, und wir entscheiden uns kurzfristig für das Silk Road Hotel, das einem Engländer gehört. Dort genießen wir den Komfort eines westlichen Hotels, in dem es wirklich alles gibt, vom Kabel-TV, Internetzugang auf dem Zimmer und guten Frühstücksbuffet bis zum Schuhanzieher, Föhn und Bügeleisen. Wir nutzen die Gelegenheit einer Heizung (trotz Kälte nicht selbstverständlich), die zweite Hälfte unserer warmen Kleidung zu waschen und sind erstaunt, wieviel Pamir-Staub allein eine Fleece-Jacke speichern kann.
Das Ende des Ramadan wird an einem sonnigen, windstillen Herbsttag auch in Bishkek gefeiert. Die Männer gehen in die Moschee und danach mit ihren Familien in den Vergnügungspark, wo Schaukeln, Ketten- und Kinderkarusselle sowie Wurf- und Schießbuden an die Kirmes-Feste meiner Kindheit erinnern. Natürlich gibt es auch Bierzelte, in denen dem Wodka gut zugesprochen wird. Schließlich ist Wodka ebenso teuer wie Bier und viel effektiver. Vor allem am Abend wärmt er ausgesprochen gut, wenn es einem in den zugigen Restaurants ohne Heizung selbst mit Jacke fröstelt. Anscheinend sind die einzigen Läden, in denen kein Wodka verkauft wird, die Apotheken, weil es dort den reinen Alkohol gibt.
In einem bequemen Minibus geht es auf relativ guten Straßen nach Karakol. Bereits nach 2 Std. erblicken wir den See, der von schneebedeckten Bergketten umrahmt wird. Wir fahren weitere 2 Std. am Nordufer entlang, bis wir den Ort am östlichen Ende des Sees erreichen.
Seine Pluspunkte sind einige angenehme Gästehäuser und Restaurants, alte russische Holzhäuser, im Herbstlaub erstrahlende Birken, eine wunderschöne russische Holzkirche, eine von Dungan, muslimisch-chinesischen Flüchtlingen, erbaute Moschee und viele Möglichkeiten, in den Bergen und am See zu wandern und auszureiten.
Leider sind die Jurten in den Bergen bereits abgebaut, und es ist zu kalt für mehrtägige Reitausflüge, so dass wir uns auf kleinere Tagestouren beschränken.
Auf einer Wanderung ein Tal hinauf begegnen wir zuerst einem christlichen Missionar mit Namen Dschingis und hinter einer Anhöhe einem alten Bauern, der imitten von schulterhohem Gestrüpp arbeitet.
Als wir uns ihm nähern, zeigt er uns mit einem breiten Grinsen seine grünen verharzten Handflächen – er erntet Haschisch.
Das Highlight ist der Vieh- und Automarkt am Sonntagmorgen, auf dem sich Bauern aus der Umgebung einfinden. Neben Schafen, Ziegen und Kühen sind es vor allem Pferde, die hier gehandelt und neu beschlagen werden. Wir hören sogar Schweine quieken, aber es dauert eine Weile, bis wir sie in den Kofferräumen der am Rand des Marktes geparkten PKWs der russischen Bauern entdecken.
Es ist faszinierend, dem Handeln und Verladen zuzuschauen. Mehrere Schafe werden auf die Rückbank eines PKW gequetscht, und ein riesiger Schafbock wird in einem Kofferraum abtransportiert.
Auch wenn Pferdewagen noch ein gängiges Transportmittel sind, so schlägt das Herz eines Kirgisen doch für das Auto. Besonders beliebt sind deutsche Audis, auf denen oft als Herkunftsbezeichnung noch das alte D-Kennzeichen klebt.
Jeder kennt Alexander von Humboldt, aber wer kennt schon Nikolai Przewalski? Von 1870-85 hat er auf 4 großen Entdeckungsreisen über 40 000 km durch das weitgehend unbekannte Zentralasien zurückgelegt, es aber nie geschafft in die verbotene Stadt Lhasa vorzudringen. Mit seinen Forschungsergebnissen hat er nicht nur den Zaren beeindruckt. Er war Ehrenmitglied der bedeutendsten geografischen Gesellschaften, darunter der von Frankfurt, Leipzig und Berlin. Sein Grab und ein kleines Museum befindet sich am Ufer des Issyk-Köl-Sees nicht weit von Karakol.
Wir kaufen bei einer alten, eleganten Dame, die auf einer Mauer in der Sonne sitzt, unsere Eintrittskarten. Als sie uns deutsch sprechen hört, kommt sie uns hinterhergeeilt. Es dauert eine Weile, bis sie aus der Tiefe ihrer Erinnerung die deutschen Worte hervorkramt, doch dann erzählt sie uns von dem stattlichen Przewalski – und ihre Augen beginnen zu leuchten – von dem heißen Sommertag, an dem er den Fehler beging, aus dem Bergbach zu trinken, der von Typhusbakterien verseucht war, so dass er bereits 49-jährig in Karakol starb. Sie selbst ist 83 Jahre alt und während des Kriegs aus St. Petersburg hierher verschlagen worden – eine beeindruckende Frau.
Ein Taxifahrer will uns für einen vernünftigen Preis am Südufer des Sees entlang weiter nach Naryn fahren. Allerdings versetzt er uns am Morgen, so dass wir uns letztendlich zum Busbahnhof begeben und mit einem älteren und weniger bequemen Minibus bis Balykchy fahren. Dort steigen wir in ein Taxi um, wobei die Fahrt mit dem jungen, von sich selbst eingenommenen Fahrer nicht gerade vergnüglich ist.
Als wir schließlich in Naryn ankommen müssen wir feststellen, dass das English House mit den einzigen akzeptablen Zimmern voll und das Tourist Office mit der Zimmervermittlung für Privatunterkünfte geschlossen ist. So laufen wir durch die Stadt zum einzigen Hotel, von dem es im Lonely Planet heißt, dass es einige renovierte deluxe-Zimmer haben soll. In den Hotelblock ist allerdings seit dem Ende der Sowjetunion sicherlich keine Kopeke investiert worden. Vier ältere Frauen drängen sich in der winzigen Rezeption hinter einem Schalter, ähnlich denen in zugigen Bahnhofshallen der 50er Jahre, das Linoleum ist nur noch bruchstückhaft vorhanden, die Sperrholztüren sind leichter aufzutreten als aufzuschließen, die Betten mit löchriger Bettwäsche nicht gerade einladend, ganz zu schweigen von den sanitären Gemeinschaftseinrichtungen (= Plumpsklo). Auf die Frage nach einem Zimmer mit Bad werde ich unters Dach geführt, wo es inmitten der zugenagelten Türen ein 4-Bett-Zimmer gibt mit abgeteiltem „Bad“ ohne Tür und Licht, einer Toilette, durch die das Wasser rauscht, und einem Schlauch aus der Wand (= Dusche). Zumindest ist das Hotel mit 1,20 Euro pro Person billig, und so checken wir ein, beschließen aber gleich, zum 2 km entfernten Englisch House zurückzukehren, um zu fragen, ob wir zumindest morgen ein Zimmer bekommen können.
Der Manager kann uns diesbezüglich leider nicht helfen, bringt uns aber in der Nachbarschaft zu einer Privatunterkunft, die uns im Gegensatz zu unserem Hotel als geradezu himmlisch erscheint. Wir buchen sofort, laufen zurück in die Stadt zum Abendessen, holen unser Gepäck aus dem Zimmer und geben mit einem „Daswidanje“ erleichtert unseren Schlüssel ab.
Als sich Stefan im Laden an der Hauptstraße noch ein Bier kauft, lernt er den Besitzer Stalbek kennen, der 8 Jahre in der Schule Deutsch gelernt hat. Nachdem er beobachtet hat, dass wir zehn Minuten vergeblich vor der Tür versuchen, ein Taxi anzuhalten, kommt er uns zu Hilfe. Es ist bereits dunkel und mit 5 Grad nicht gerade warm. Doch auch er hat keinen Erfolg, so dass er nach weiteren 10 Minuten beschließt, sein Auto zu holen und uns nach Hause zu fahren.
Als wir schließlich in unserer Pension ankommen müssen wir feststellen, dass es im ganzen Stadtteil keinen Strom und dadurch auch keine Heizung gibt, so dass wir uns völlig durchgefroren ins Bett verkriechen.
Es ist gar nicht so einfach, die 335 km lange Strecke von Naryn nach Kashgar zu bewältigen. Das liegt nicht daran, dass die Straße zum größten Teil unbefestigt ist, auch nicht daran, dass zwei hohe Pässe zu überwinden sind, sondern an den Grenzformalitäten.
Zum einen ist die Grenze nur von Montag bis Freitag geöffnet, auch nicht an Feiertagen, bei schlechtem Wetter oder aus sonstigem Anlass. Zum anderen sind von der ersten bis zur letzten Kontrollstelle über 160 km zurückzulegen. Es gibt nur einen chinesischen Sleeper-Bus, der die Strecke befährt, aber von Ausländern nicht benutzt werden darf.
Daneben fahren noch hunderte von LKWs täglich über den Pass, überwiegend große chinesische 60 t-Sattelschlepper, die all den „Made in China“-Kram Richtung Zentralasien transportieren. Auch sie dürfen keine Touristen mitnehmen. Zudem dauert deren Grenzabfertigung Stunden.
So fährt am 18.10. morgens ein Minibus von Kashgar inmitten der Kolonne chinesischer LKWs Richtung Pass. Von der anderen Seite nähern wir uns in einem kirgisischen Jeep. Bereits vor Sonnenaufgang sind wir aufgebrochen, denn wir wollen noch einen kurzen Abstecher zu einer fast tausend Jahre alten Anlage an der Seidenstraße am Fuß eines Passes machen. Der wuchtigen Kuppelbau mit dicken Mauern aus Naturstein soll entweder das Grabmal eines kirgisischen Helden, ein Kloster der Nestorianer oder eine Karawanserei (oder alles zu seiner Zeit) gewesen sein.
Über die weiten, kahlen Hochebenen des Tien Shan geht es weiter hinauf in die Berge, wo wir schließlich die kirgisischen Grenzabfertigungen passieren und bis zur eigentlichen Grenze fahren, die auf dem Pass in 3752 m Höhe verläuft. Inmitten der Schneelandschaft warten wir auf der kirgisischen Seite eine Stunde bis auch der chinesische Minibus eintrifft.
Dann wechseln wir zu Fuß mit unserem Gepäck von der einen auf die andere Seite der Grenze – eine Szene, die durchaus in einen Spionagefilm passt. Was uns dann in China erwartet erfahrt ihr in unserer nächsten Mail.
Euch allen einen herzlichen Gruß aus Kashgar von
Renate und Stefan