Ihr Lieben,
nun verlassen wir wieder den zentralen Teil der Seidenstraße: die weite Tiefebene mit den schier endlosen Wüsten, geschichtsträchtigen Oasen und folgsamen Bildungsreisenden. Die großen Reisegruppen in Chiva, Bukhara und Samarkand sind nach den touristenarmen Wochen im Iran und in Turkmenistan eine willkommene Abwechslung. Manchmal gesellen wir uns zu ihnen, um den Ausführungen der Reiseleiter zu lauschen. Diese referieren oft langatmig über Details aus dem reichhaltigen Fundus der ereignisreichen Geschichte, langweilen mit Jahreszahlen, Herrschernamen und architektonischen Details bevor sie zum kunsthandwerklichen Teil kommen und mit ihren Gruppen in die Teppichmanufaktur oder Keramikwerkstatt entschwinden. Es ist schon erstaunlich, wie die meist älteren Reisenden geduldig in der Sonne stehen und vorgeben zuzuhören. Hätten sie nicht dafür bezahlt, wären sie wahrscheinlich schon längst davongelaufen – zumindest bis zu einem der reichlich vorhandenen Souvenirstände.
Stattdessen werden viele Souvenireinkäufe in Eile getätigt. Manchmal gibt es Probleme, wenn man bezahlen will und kein einheimisches Geld hat geschweige den Wechselkurs kennt. Dafür unterscheiden clevere Händler deutsche, französische, italienische oder spanische Touristen schon von Weitem, sprechen sie in ihrer Sprache an und nehmen natürlich gern Dollar und Euro. Da klingt der Preis zudem viel niedriger als in Sum. Ein Dollar sind nämlich 1280 Sum, und die größte Banknote sind 1000 Sum. Allerdings ist es uns bereits zur Gewohnheit geworden, dicke Geldbündel herumzutragen, denn für 1 $ gibt es in Turkmenistan sogar 32 000 Manat und im Iran 13 000 Rial – so wird man schnell zum Millionär!
Im Gegensatz zum Nachbarland fehlen Uzbekistan reichlich sprudelnden Ölquellen, und die Menschen sind spürbar ärmer. Auf dem Land erfolgt ein großer Teil des Transports noch mit Eselskarren. Das Lebensmittelangebot beschränkt sich bei Gemüse weitgehend auf Karotten, Paprika, Kartoffeln und Tomaten und bei Obst auf Äpfel, Trauben und Melonen.
Wir sind sehr froh darüber, dass zumindest in den Gästehäusern ein reichhaltiges Frühstück aufgetragen wird mit leckerem einheimischem Brot, hauchdünnen Pfannkuchen, Reisbrei, cremigem Joghurt, Kompott, Obst und Käse. Man muss schon ziemlich bescheiden sein, um das Essen in den Restaurants außerhalb der beiden großen Städte Samarkand und Bukhara zu genießen. Selbst dort sind wir gleich zweimal zum Restaurant Bella Italia gepilgern, obwohl der Bau im sowjetischen 60er Jahre Stil nicht gerade „Bella“ ist und die Spaghetti Bolognaise mit einheimischen Longmen Nudeln und Karotten statt Tomaten zubereitet sind. Nach den alkoholfreien Wochen im Iran genießen wir das lokale Sarbast Import (nicht Export!) Bier mehr als den süßen einheimischen Wein.
Nach den riesigen Suiten Turkmenistans (in Ashgarbat so groß wie unsere Berliner Wohnung) fühlen wir uns in den kleinen, familiären Unterkünften mit individuellem Charakter wesentlich wohler. In Samarkand liegt unser Zimmer in einem alten, einstöckigen Häuserkomplex, der einen wunderschönen Garten umschließt, Rosen und Malven blühen im Schatten von Weinranken und Obstbäumen, auf denen Kirschen, Aprikosen, Granatäpfel, Feigen, Äpfel und Maulbeeren reifen. In Bukhara haben wir auf unserem Zimmer sogar Satelliten-TV mit über tausend Programmen aus dem gesamten euro-asiatischen Kontinent – von Ägypten bis Zypern – natürlich auch ARD und Arte. Aufgrund des Zeitunterschieds und unseres reichhaltigen Sightseeing-Programms schaffen wir es allerdings nie, bis zur Tagesschau munter zu bleiben. So bleibt uns in der Mittagspause als Alternative zum tristen deutschen Frühstücksfernsehen nur BBC.
Drei große Städte an der Seidenstraße, ihre Namen rufen Bilder von Tausendundeiner Nacht wach, bedeutsame Handelsplätze im Kernland Transoxaniens, dem Land zwischen Oxus (Amu Darya) und Jaxartes (Syr Darya), den beiden lebensspendenden gewaltigen Flüssen, die in der Weite der zentralasiatischen Wüsten versickern. Viel Wasser wird heute allerdings für den Baumwollanbau abgezweigt, so dass der Aralsee, den wir links liegen lassen, immer weiter austrocknet und sich bereits in drei Teile aufgespaltet hat.
Samarkand, die größte der Städte, feiert ihr 2750-jähriges Jubiläum. Es ist mir schleierhaft, wer dieses Jahr so genau bestimmt hat, aber sicher ist, dass hier im Laufe der Geschichte 12 Städte von Sogdiern, Griechen, Türken, Arabern, Seldschuken, Mongolen, Persern und anderen aufgebaut und wieder zerstört wurden. Am gründlichsten war wieder einmal Dschingis Khan, der im Jahre 1220 alles dem Erdboden gleichgemacht hat. Seine Spuren sind ebenso wie die Alexanders des Großen überall zu finden. Viele Städte haben sich von den Zerstörungen nie wieder erholt. Doch Samarkand erblüht im 14. Jahrhundert dank des lokalen Herrschers Timur, der ein Reich erobert, das vom Osten der Türkei bis nach Indien reicht, wobei seine Art der Kriegsführung die Brutalität der mongolischen Heere noch übertrifft. Nun stehen wir hier und bewundern diese Stadt, die von Handwerkern und Künstlern geschaffen wurde, die er als Kriegsbeute aus den eroberten Gebieten herbeigeschafft hat.
Es fällt nicht schwer, sich in die Blütezeit der Seidenstraße zurückzuversetzen mit ihren lebendigen Bazaren und Karawansereien, die von gewaltigen Moscheen überragt werden, deren blau glitzernde Kuppeln mit dem tiefblauen Himmel zu verschmelzen scheinen. In den mit dekorativen Mosaiken geschmücken Medressen unterrichteten einst die großen Gelehrten der orientalischen Welt Medizin, Philosophie, Algebra und Astronomie, lasen täglich tausende von Koranschülern das Heilige Buch. Heute sind nur noch wenige Medressen aktiv, und der Ruf des Muezzin ist verstummt.
Wir pilgern zu den Mausoleen verstorbener Herrscher, Dichter und Heiliger (vom Propheten Daniel bis zu Bakhautdin Naqshband, dem Begründer des Sufiordens). Zumindest ihre Gräber hält man weitgehend frei von Händlern, die sich in den Innenhöfen der alten Medressen und Moscheen eingenistet haben und Teppiche, Keramiken, bestickte Stoffe, Messingarbeiten und andere Souvenirs vorbeiströmenden Touristen aus aller Welt anpreisen. Selbst das Aufsichtspersonal in Museen versuchen etwas selbst gemachten Modeschmuck zu verkaufen.
Bereits zu sowjetischen Zeiten hat man alles dafür getan, die großartigen Baudenkmäler der Seidenstraße zu erhalten und viele jüngst unter der uzbekischen Regierung noch einmal in einem Ausmaß restauriert, das eher als Rekonstruktion bezeichnet werden kann. Diese für den Tourismus liebevoll dekorierten historischen Schaufenster wirken inmitten der modernen Städte wie Inseln aus einer anderen Zeit, eine dünne Fassade, hinter der die gesichtslosen sozialistischen Städte mit ihren breiten Boulevards, farblosen Plattenbauten und dem Verfall preisgegebenen Altstädte noch trister wirken.
In Khiva verfügen viele Häuser in der Altstadt weder über fließend Wasser noch Kanalisation. Einige Brunnen liegen mitten auf der Straße und können bei Dunkelheit mangels Straßenbeleuchtung Unvorsichtige schnell verschlucken, so dass es sich empfiehlt, abends nur mit Taschenlampe auszugehen. Rings um unser Gästehaus kippt man die Abwässer einfach auf die Gasse, die zur Mitte hin abfällt. Dort sammelt sich die Flüssigkeit und verdunstet recht schnell – zurück bleibt ein dunkler, nicht ganz geruchsfreier Belag.
Zum Beginn und am Ende unserer Reise durch Uzbekistan besuchen wir zwei Orte, die nicht auf der touristischen Standardroute liegen. In Nukus, der Grenzstadt im Westen, reizt uns das Savitzky Museum mit seiner einmaligen Sammlung moderner russischer unangepasster Kunst, und wir werden nicht enttäuscht. Ja und Termiz, dieser eigenartige Ort an der Grenze zu Afghanistan, geistert ständig als Standort der deutschen Luftwaffe durch die Presse. Wer hierher fährt, ist beim Militär, Archäologe oder auf dem Weg nach Afghanistan. Uns reicht es, die schwer befestigten Grenzanlagen auf der uskekischen Seite entlang des Amu Darya anzusehen.
Abends kommen wir mit einen deutschen Soldaten in voller Uniform ins Gespräch, der erstmal völlig verblüfft ist, dass es auch Touristen in diesen tristen Ort verschlägt. Als wir ihm erklären, dass wir überall hinfahren außer nach Afghanistan meint er nur, das sei eine weise Entscheidung und steigt in den Bus, der ihn zum Flugplatz bringt. Etwa 1000 deutsche Luftwaffensoldaten sind hier stationiert. Ein Besuch im Museum führt uns vor Augen, dass sich hinter dieser tristen Fassade eine lange Geschichte verbirgt, und da wir gerade gut geübt sind im Besuch von Ruinen, Ausgrabungen und Mausoleen, machen wir uns wieder auf den Weg. Vor den Toren der Stadt erheben sich die Ruinen ehemaliger Befestigungsanlagen und restaurierte Mausoleen sowie eine der ältesten buddhistischen Tempelanlagen aus dem 3.Jh.
Morgen geht es weiter nach Tajikistan. Wie wir von zwei griechischen Travellern (die einzigen anderen Touristen in der Stadt), die gerade von dort kommen, erfahren haben, sind die Straßen dort nur noch Pisten, und das Internet ist wieder steinzeitlich. Deshalb schicke ich euch heute schon unsere Mail und alle guten Wünsche für den Herbst.
Seid herzlich gegrüßt aus Termiz von
Renate und Stefan