TRAVELSTORIES – Stefan & Renate Loose unterwegs

gesammelte Briefe 2004–2024

29.11.2007 - Nepal

Ihr Lieben,

 

in den letzten Wochen haben wir einige Backpacker getroffen, die Monate und Jahre unterwegs sind. Eigenartigerweise zieht es viele zum gleichen Termin wieder zurück nach Schweden, Polen, Tschechien, Spanien, England und Deutschland – Weihnachten. Das Familienfest ist ein guter Anlass, eine lange Reise zu beenden. Das gilt auch für uns, und um damit einige Anfragen zu beantworten: Wir werden am 20.12. voraussichtlich wieder in Berlin eintreffen.

Bevor wir jedoch den letzten Teil unserer Reise durch den Nordosten Indiens beginnen, wollen wir uns in Nepal noch ein wenig in touristischen Gefilden bei Müsli und Momos (= einheimische Maultaschen) erholen. Von Varanasi fliegt Bill nach Kalifornien zurück, während wir uns mit Ian auf den Weg nach Lumbini, zum Geburtsort Buddhas, begeben. Wir durchfahren die weite Ebene, in der Sidhartha Gautama aufgewachsen ist und alle Stationen bis zu seiner Erleuchtung durchlebt hat. Seither scheint sich das Land, das an uns vorüberzieht, kaum geändert zu haben. Dann wieder trifft uns mit voller Wucht die Gegenwart mit übervölkerten Städten, unzureichenden Transportmitteln und einer unfähigen Bürokratie.

Über die Grenze strömen schwer bepackte Fußgänger, Lastwagen und Fahrradrikschas. Schlepper bedrängen uns bereits auf der indischen Seite: Taxi, Bus nach Kathmandu, change money? Fast hätten wir im Gewusel die indische Immigration in einem der einstöckigen Geschäftshäuser übersehen. Versehen mit dem Ausreisestempel lassen wir den Zoll links liegen und überschreiten die Grenze, wo uns ein Grenzer zuruft: „Stamp?“. Wir antworten: „Yes, have.“ und lassen uns von den Menschenmassen nach Nepal tragen.

 

Lumbini

Inmitten kleiner Pilgergruppen aus asiatischen buddhistischen Ländern und Europa wandern wir durch den Wald und die Sümpfe, die die Geburtsstätte umgeben. Sie sind einerseits Vogelschutzgebiet und andererseits religiöse Stätte, und diese Kombination strahlt eine große Ruhe aus. Auf dem weitläufigen Gelände haben Buddhisten aus allen Ländern Tempel erbaut: Thailands Vihara erstrahlt in hellem Weiss und wirkt überaus repräsentativ aber kühl. Da scheint der bunte chinesische Tempel der einheimischen Kultur näher zu sein, bleibt aber ohne Inhalt. Hingegen ist der tibetische Tempel belebt, schon allein wegen der vielen tibetischen Flüchtlinge, die hier leben. Wunderschön ist der vietnamesische Tempel, aber nur Meditierenden zugänglich, ebenso wie viele andere (auch aus Österreich und Deutschland). Am zentralen Maya Devi Tempel, Buddhas Geburtsstätte, lauschen wir den von monotonen Trommelschlägen begleiteten Gesängen vietnamesischer Mönche und dem Murmeln einer deutschen Gruppe, die im Schatten eines alten Baumes die Sanskrit-Gebete vom Blatt abliest.

 

Tansen

Am Ende einer langwierige Fahrt über die überwiegend von Fahrrädern genutzten Straßen der dicht besiedelten, fruchtbaren Tiefebene sind schließlich die Vorgebirge des Himalaya erreicht, und der Verkehr dünnt aus. Ian kann es kaum noch erwarten, den ersten Blick auf die Schneeberge zu werfen. Oberhalb von Tansen klettern wir auf einen Aussichtspunkt. Es ist leicht bewölkt, und auf den erste Blick nach Norden sieht man nur eine Wolkenkette. Dann erst realisiert man inmitten der flauschigen Wolkenformationen die schroffen Gebirgszüge, deren Weiß im Himmel aufzugehen scheint. Kein Foto kann diese Erfahrung der majestätischen Größe dieser Bergwelt festhalten.

Tansen, ein relativ kleiner Bergort, zählt an diesem Tag wahrscheinlich 8 Touristen. Am Busbahnhof werden traditionelle handgewebte Dahka-Stoffe verkauft, und wer meine Leidenschaft für Stoffe kennt, kann sich vorstellen, dass wir schon bald das Viertel gefunden haben, in dem die Weberinnen arbeiten (auch wenn es nicht im Lonely Planet steht, mit dem alle unterwegs sind). An einfachen Webstühlen sitzen Frauen und schieben Reihe für Reihe um 30 Spindeln in unterschiedlichen Farben einzeln durch die Lauffäden. Um sie herum spielen ihre jüngsten Kinder. In einem kleinen Laden kaufen wir einen der Stoffe – er kostet pro Meter 1,80 Euro. Wie hoch ist dann der Lohn der Frauen?

 

Tansen

Pokhara

in Pokhara

Willkommen im Herzen des Trekkingtourismus. Ian geht das Herz auf: Hier gibt es zuhauf Ausrüstungsläden und Reisebüros, die Trekking, Rafting und Paragliding vor der Bergkulisse offerieren. Jeder Zweite scheint gerade von dem gut zweiwöchigen Annapurna Circuit zurückzukommen oder auf dem Weg dorthin zu sein. Wo man hinschaut: Gore-tex-Jacken und Wanderstiefel – selbst bei Gruppenreisenden. Es könnte ja sein, dass der Weg vom Busparkplatz zum Aussichtspunkt etwas steiler ist. Als wirklich sinnvoll erweisen sich die festen Schuhe allerdings in Kathmandu … mehr dazu später.

Doch es gibt auch Bergsteiger, die in Pokhara zum letzten Mal vor dem Aufstieg und der entbehrungsreichen Zeit die relaxte Atmosphäre am See genießen. Sie trifft man manchmal beim Training. Mit einem riesigen, schweren Rucksack steigen sie nach Sarangkot hinauf – ein kurzer Weg, auf dem fast 600 Höhenmeter zu überwinden sind. Wir haben es uns leicht gemacht und sind mit dem Taxi bis zum Aussichtspunkt für Bustouristen und andere Gehbehinderte etwa hundert Höhenmeter unterhalb vom Gipfel gefahren. Von dort aus steigen wir hinauf und auf der anderen Seite hinab zum See (das reicht für einen leichten Muskelkater).

 

 

Der Ausblick vom Gipfel bei tiefblauem Himmel gehört zu den schönsten der Welt: Auf der einen Seite das weite Tal mit der großen Stadt, die zum Touristenzentrum am See hin zunehmend ländlicher wird, umrahmt von den Vorgebirgsketten, in denen sich der Nebel verfängt; auf der anderen eine schier endlose Gebirgskette mit einigen der höchsten Bergen der Welt: Außen links der Dhaulagiri (8168 m), daneben der Annapurna (8091 m) und direkt vor uns der markante Gipfel des Machhapuchhre (6992 m) – Ian kennt sie schon fast alle und kann den Blick kaum noch abwenden. Schließlich will er am nächsten Tag zu seinem ersten Trek aufbrechen.

 

Kathmandu

Wieder zu Zweit treffen wir nach einer über achtstündigen Fahrt in dem 200 km entfernten Kathmandu ein. Es herrscht ein unglaubliches Verkehrschaos, obwohl Benzin mit 1 Euro pro Liter teuer und zudem extrem knapp ist, so dass man an den Tankstellen stundenlang anstehen muss. In Ermangelung eines funktionierenden öffentlichen Nahverkehrssystems drängen sich völlig überladene Autos, Motorräder und Fahrradrikschas selbst durch den dichten Fußgängerverkehr in den selten über fünf Meter breiten Straßen und Gassen der Altstadt. Eine davon wird in mühevoller Handarbeit gerade asphaltiert, was zum totalen Verkehrsstillstand führt – ein seltenes Ereignis, denn meist löst sich ein Stau dank der akrobatischen Fahrkünste schnell auf.

Zudem türmen sich Berge von Müll vor den Häusern. Die städtische Müllkippe wird von Anwohnern gerade bestreikt, und bis zum Tag unserer Abreise haben sich 2000 metrische Tonnen Müll in den Straßen angesammelt. Zudem gibt es rechtzeitig nach dem Einbruch der Dunkelheit eine Stromsperre, so dass es überaus ratsam ist, die festen Wanderschuhe wieder auszupacken.

Weitere Schlangen bilden sich vor Verkaufsstellen für Propangas, dessen Preis erheblich angehoben wurde. Die steigenden Energiepreise auf dem Weltmarkt sind von armen Ländern wie Nepal kaum noch zu finanzieren. Hinzu kommt die Unfähigkeit der Politiker, Krisen zu meistern und sich mit der maoistischen Opposition zu einigen. Kaum einer, mit dem wir sprechen, glaubt an eine positive politische Entwicklung, aber einen weiteren Bürgerkrieg kann das Land zu allerletzt gebrauchen.

 

Wir wohnen etwas außerhalb in einer ruhigen Seitengasse und unternehmen Ausflüge nach Patan und Bhaktapur, wo uns die großartige Architektur beeindruckt. Aber auch dort ist ebenso wie in Kathmandu das Angebot für Touristen wesentlich größer als die Nachfrage. Noch bevor man etwas angeschaut hat, kommen bereits Verkäufer angestürmt und bieten egal wofür einen guten Preis an.

Lange stöbern wir in den reichlich vorhandenen Buchläden, die uns in den letzten Wochen in Zentralasien gefehlt haben und decken uns mit neuen Büchern ein. Es ist faszinierend, was sich in den Second-Hand-Buchhandlungen an Hinterlassenschaften anderer Touristen anfindet. Neben den typischen Urlaubsromanen sind es auch Bücher, die wahrscheinlich lange im Bücherregal gestanden haben, bis man einen Urlaub zum Anlass genommen hat, sie endlich zu lesen. Aber wer reist schon mit einem fast zwei Kilo schweren Brockhaus Konversationslexikon nach Nepal? Selbst die orangenen Loose-Bücher sind vertreten, und in einem Buchladen finden wir sogar eine erste Auflage Malaysia und ein 18 Jahre altes Südostasien Handbuch.

 

Zurück in Indien

Vor wenigen Stunden sind wir in Siliguri eingetroffen. Unser Freund Raj hat uns an der Grenze abgeholt und gleich ins Büro gebracht, wo wir weitere Berliner Freunde treffen: Markus, der bei Help Tourism arbeitet, und Andrea, die mit ihren beiden Kindern ein Jahr in Siliguri leben sowie Heidrun und Siegfried, die von Sikkim kommend auf dem Weg nach Calcutta sind. Für morgen ist bereits eine zweitägige Tour in die Kalimpong Hills geplant. Daher nutze ich die Chance, euch vom Büro aus noch die Mail zu schicken. Einen wunderschönen Advent wünschen euch

Renate und Stefan

weiter... (demnächst)

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